Startseite
Ostschweiz
Frauenfeld & Hinterthurgau
Im Quartier Kleinbasel ist eine neue Skulptur auf einem Baumstrunk zu sehen. Die Wiler Holzbildhauerin Angela Galli hat das Kunstwerk geschaffen.
Wer von der Hauptstrasse her die schmale Brücke das doppelspurige Gleis quert, gerät bald einmal in blasses Erstaunen. Ein lebensgrosser hölzerner Mann, auf einem Baumstrunk sitzend, nimmt das Auge gefangen. Sein beobachtender, in die Weite gerichteter Blick lässt niemanden kalt. Gar manche Passanten, ob zu Fuss, mit Velo oder gar auf dem Pferd, halten inne und betrachten die Skulptur.
Dabei entgehen den aufmerksamen Betrachtern keine Details: ob die ins Gesicht gegrabenen tiefen Furchen, der mächtige Bart, die Dächlikappe, die Hosenträger, der Wohlstandsbauch, die Birkenstock-Finken, sein Schnitzmesser in der rechten Hand oder eine geschnitzte Geiss in der linken. Alles ist filigran herausgearbeitet.
Man ist fast geneigt, darauf zu warten, dass der ältere Herr zu reden anfängt. Dieser Ansicht ist Spaziergänger Rudolf Schwager, dem noch weitere Einzelheiten ins Auge stechen: «Hast du gesehen, dass auf der Sitzbank noch eine geschnitzte Geiss, ein rotbemalter Apfel und eine Tasse sind? Das mag darauf hindeuten, dass der Mann ausreichend Musse hat und noch längere Zeit hier zu verweilen gedenkt. Vielleicht ist er etwa gleich alt wie ich», bemerkt der 90-jährige Wittershauser.
Auftraggeber der sehenswerten Skulptur ist die Grundbesitzerfamilie Oliver und Conny Gerber. Sie erklären:
«Die mächtige Linde musste vor gut einem Jahr wegen eines Sturmschadens gefällt werden. Uns war klar, dass ein Teil des über 100-jährigen Baums erhalten werden sollte.»
Deshalb sei der anderthalb Meter dicke Stamm auf fast drei Meter Höhe abgesägt worden. «Aus dem Baumstrunk sollte etwas Schönes entstehen.» Die Namensgebung «von der Linde» wurde aus den Reihen eines Dorfbewohners vorgeschlagen und als treffend befunden.
Ausgeführt hat das lebensgrosse Exponat die Holzbildhauerin Angela Galli, mit Atelier in der Wiler Marktgasse. Gelernt hat die 28-Jährige ihren Beruf in einer vierjährigen Zweitausbildung an der Schule für Holzbildhauerei in der Holzbilder-Hochburg Brienz. So erfolgreich, dass sie schon in jungen Jahren den Kiwanis Förderpreis in Bern gewonnen hat.
Seit September ist sie selbstständige Künstlerin. «Ich habe noch nie etwas so Grosses gemacht», verrät die Wilerin in unprätentiöser Art und betrachtet mit zurückhaltendem Stolz den geschnitzten Körper, der perfekt mit der Umgebung verschmilzt. Dass sie dafür über 100 Stunden gearbeitet hat, schien ihr Nebensache zu sein.