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Die Thurgauer Bevölkerung wählt am 15. März ihr 130-köpfiges Parlament für die nächsten vier Jahre. Welche Politik verfolgten die Parteien? Wer konnte Erfolge verbuchen? Wer hat Chancen, Mandate zuzulegen?
Inhaltsverzeichnis
Die SVP-Grossratsfraktion will «Jugendliche zu Disziplin und Respekt anhalten». Das Beispiel aus dem Legislaturprogramm 2020 bis 2024 der Fraktion ist eines von zahlreichen gewichtigeren und weniger gewichtigeren Zielen und macht klar, dass sich die grösste Thurgauer Partei als konservative Kraft versteht. Steuern und Abgaben will sie nicht erhöhen, den Sozialstaat nicht ausbauen, Eigenbetreuung und Fremdbetreuung gleichstellen. Von staatlichen Quotenregelungen hält sie ebenso wenig wie von Gleichstellungsbüros. Sie setzt sich für ein Verhüllungsverbot im öffentlichen Raum ein und will die christlich-abendländische Kultur erhalten. Weiter versteht sie sich als Interessensvertreterin der Bauern. Auch für Industrie und Gewerbe setzt sich die SVP ein. Die Energiewende fördert sie gemäss einem Positionspapier nur, «soweit dies wirtschaftlich vertretbar ist».
Der Thurgau ist in SVP-Hand: Ihre Vertreter präsidieren zurzeit den Regierungsrat, das Parlament und das Obergericht. Ein scharfes Profil zu zeigen, fällt einer Partei dieser Grösse nicht leicht. In der zu Ende gehenden Legislatur befanden sich SVP-Vertreter oft bei den Befürwortern wie bei den Gegnern, so beim Öffentlichkeitsprinzip, dem Kunstmuseum und der schwarzen Liste der säumigen Prämienzahler. Kantonsräte der SVP sind prominent vertreten in der «Fraktion der kritischen Geister», die gerne den SVP-Regierungsräten auf die Finger klopft. Glück hatte die SVP, dass ihre Regierungsräte kaum in den Fall Hefenhofen involviert waren. Bei den Grossratswahlen 2016 hatte die SVP Thurgau drei Sitze dazugewonnen, bei den Nationalratswahlen 2019 einen Stimmenanteil von drei Prozent verloren. Am 15. März wird es ihr schwerfallen, ihre 44 Grossratssitze zu halten.
Die FDP steigt mit einem beachtlichen Kandidatenfeld ins Rennen um die Sitze im Grossen Rat. Neben 19 Bisherigen stellen sich für die Freisinnigen 119 Frauen und Männer zur Wahl. «Dranbleiben, jetzt erst recht.» Mit diesem Slogan läutete Parteipräsident David H. Bon im Januar das Wahljahr ein. Die Freisinnigen wollen zweitstärkste Kraft im Kanton bleiben. Bei den Wahlen vor vier Jahren konnte die Partei zulegen. Seither hält sie 20 Sitze im 130-köpfigen Kantonsparlament. Einen Dämpfer erlebte die FDP jedoch bei den eidgenössischen Wahlen im Herbst 2019, als der Wähleranteil um 1,5 Prozentpunkte auf 11,5 Prozent schrumpfte. Besonders schmerzlich für die FDP: Der Thurgauer Freisinn musste zur Überraschung aller den Nationalratssitz an die Grünen abtreten. «Jetzt erst recht», lautet nun also das Motto. Die Wahlen vom 15.März versprechen einen Zweikampf zwischen der FDP und der CVP in der politischen Mitte. Dank Proporzglück ergatterte die CVP vor vier Jahren trotz prozentual weniger Stimmenanteil ebenfalls 20 Sitze.
In der Grossratsfraktion setzt die FDP auf Qualität. Sie reicht nur eine überschaubare Anzahl an Vorstössen ein, hat dafür den Anspruch, dass diese umso sinnvoller seien. Dabei erwähnt die Partei gerne die durchgebrachte Regulierungsbremse oder auch die Abstimmung zum kantonalen Steuergesetz, die der Freisinn wesentlich mitprägte. «Wir schaffen attraktive Rahmenbedingungen für bestehende, zuziehende und neue Unternehmen», heisst es zudem im Positionspapier der FDP Thurgau. Und: «Wir stehen für eine gesunde, nachhaltige, familien- und wirtschaftsfreundliche Steuerpolitik ein.» Weiter fordern sie: weniger Bürokratie, tiefe Steuern sowie Freiheit zur Lebensgestaltung.
Auch wenn sie bei den Grossratswahlen 2016 Wähleranteile und einen Parlamentssitz verloren hat, ist die CVP im Thurgau immer noch eine stabile Kraft. Die Aushängeschilder Carmen Haag (Regierungsrätin), Brigitte Häberli (Ständerätin) und Christian Lohr (Nationalrat) sind allseits geschätzte Politiker. Sowohl Haag als auch Häberli holten bei ihren letzten Wiederwahlen die meisten Stimmen aller Kandidaten. Mit 20 Sitzen im Grossen Rat ist die CVP gleich stark vertreten wie die FDP. Kommt im Parlament ein bürgerliches Anliegen zur Abstimmung, kann die Haltung der CVP-EVP-Fraktion, der zweitgrössten, oft den Ausschlag geben.
Die Themen der CVP Thurgau sind zumindest vordergründig nicht offensichtlich christlich geprägt. Die Diskussion über das C im Parteinamen werde eher in den Medien als bei den Mitgliedern geführt, sagte Kantonalpräsident Paul Rutishauser im Januar. Die CVP müsse ihre Werte besser verkaufen und ihre Konturen schärfen. Tatsächlich präsentiert die Partei auf ihrer Website zu fast jedem Thema eine Meinung. Sie setzt sich klar für den Schutz der Umwelt ein. Aus der CVP-EVP-Fraktion kam unter anderem die Interpellation «Klimawandel stoppen statt verdrängen», woraufhin Regierungsrätin Haag einen Aktionsplan Klima sowie eine Klimafachstelle vorschlug. «Mit Nachdruck» setzt sich die Partei zudem für zukunftsfähige Sozialwerke ein. Als Familienpartei will die CVP weiter, dass Kinder nicht zum Armutsrisiko werden und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gefördert wird. Dass die Partei ihre durch Proporzglück erreichten 20 Sitze im Grossen Rat halten kann, ist unsicher. Trotzdem wird die CVP im Thurgau weiterhin eine wichtige Rolle spielen.
Wer neu in der 17-köpfigen SP-Fraktion politisiert, lernt eines schnell: Verlieren. Mit ihren Anliegen laufen die Sozialdemokraten im rechtsbürgerlich dominierten Parlament regelmässig auf. Auch die Regierung hat auf dem linken Ohr selten Musikgehör. Ein kantonaler Mindestlohn fand ebenso wenig eine Mehrheit wie die Einschränkung der Ladenöffnungszeiten. Die SP kämpft mit ihren Partnern gegen höhere Sprachhürden bei der Einbürgerung, war aber in der Minderheit. Auch Sparpakete lehnt die SP ab, und doch werden sie geschnürt. So etwa das letzte Sparpaket. Die Sozialdemokraten zeichnen sich durch Hartnäckigkeit aus. Sie bekämpften das Steuerpaket – gegen die Ratsmehrheit. Als letzte Möglichkeit riefen sie das Volk zur Abstimmung. Es entschied gegen die SP. Dass im Thurgau auch Kinder auf der schwarzen Liste säumiger Prämienzahler sind, nehmen die Sozialdemokraten nicht hin. Sie decken die Regierung mit Vorstössen ein, machen in Bern Druck.
In einigen Fällen dürfen die Linken auch feiern. So etwa beim Öffentlichkeitsprinzip, dem sie im Parlament zum Durchbruch verhalfen. Sie waren auch daran beteiligt, dass der Thurgau Frühfranzösisch beibehält. Den entscheidenden Antrag stellte SP-Kantonsrat Walter Hugentobler (Matzingen). Die Schweiz applaudierte. Die Fraktion verlor ein Mitglied, Peter Dransfeld verabschiedete sich an den grünen Tisch. Dafür klopfte Alban Imeri an die rote Türe, er kam von der BDP. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die SP ihre 17 Mandate halten kann. Bei den nationalen Wahlen war sie stabil. Im Grossen Rat verlor sie zuletzt zwei Sitze. Konkurrenz im Kampf um Wählerstimmen kommt neu von den Grünen, dem politischen Partner, der im Becken der Themenkonjunktur schwimmt.
Bei den Grossratswahlen 2016 freuten sich die Thurgauer Grünen, dass sie ihre neun Sitze halten konnten. Diesmal wären sie über dasselbe Resultat frustriert. Abgesehen vom Sitzzuwachs während der Legislatur durch den Fraktionswechsel des Ermatingers Peter Dransfeld hat inzwischen auch der Trend gekehrt. Betrug der GP-Wähleranteil 2016 noch 7,4 Prozent, stieg er bei den Nationalratswahlen 2019 auf 10,6 Prozent.
Mit ihrem Kernanliegen Umweltschutz sind die Grünen in der politischen Mitte angekommen; so wird die Biodiversitätsinitiative von fast allen Parteien von links bis zur FDP unterstützt. Einen Sitz gewinnen könnte beispielsweise Simon Vogel. Der Frauenfelder präsidiert die Jungen Grünen Thurgau, der erfolgreichsten Jungpartei bei den Nationalratswahlen im Kanton. Nun kandidiert er hinter zwei Bisherigen auf der GP-Hauptliste. Denselben Platz hat im Bezirk Arbon die Amriswiler Stadträtin Sandra Reinhart inne, gefolgt vom ehemaligen Präsidenten der Kantonalpartei, Urs Oberholzer. Um ihren wachsenden Wähleranteil in Einfluss umzusetzen, sind die Thurgauer Grünen dringend auf neue Köpfe angewiesen. Unter anderem brauchen sie einen neuen Präsidenten, nachdem der bisherige Kurt Egger in die Bundespolitik wechselte. Mittelfristig verabschieden werden sich auch die altgedienten Kämpfer Toni Kappeler und Jost Rüegg, die diesmal noch kandidieren.
Die Grünliberalen Thurgau greifen bei den Wahlen nach mindestens zehn Sitzen. Aktuell wirken sieben Politiker dieser Partei im Grossen Rat mit; vor vier Jahren gewann die GLP einen Sitz. Die Zeichen für einen Zuwachs stehen auch heuer günstig. «Es ist Zeit», wirbt die GLP. Sie hat bei den nationalen Wahlen den Wähleranteil von 6,2 auf 8,1 gesteigert. Für ein Mandat reichte es nicht. Auch ohne Thurgauer Zutun legte die Partei im Nationalrat von 7 auf 16 Sitze zu. Bei den Stadtparlamentswahlen im Thurgau gewann die GLP Mandate – in Frauenfeld und Weinfelden je zwei Sitze.
Die Partei hat auch sachpolitische Erfolge vorzuweisen. Stichwort: Öffentlichkeitsprinzip – ein grünliberales Gesellenstück. Unter der Führung von Fraktionschef Ueli Fisch kehrte die Partei zuerst die Mehrheitsverhältnisse im Parlament und sahnte danach ein glasklares Volks-Ja ab. Mit Vorstössen – den Waffen von Nichtregierungsparteien – ist die GLP aktiv. Nicht alle sind von Erfolg gekrönt. Über die grünliberale Forderung nach der Abschaffung des Salzregals wollte das Parlament erst gar nicht reden. Die GLP agiert – trotz ihrer Jugendlichkeit – als klassische Mittepartei. Sie findet in der Sozialpolitik Gehör für linke Anliegen; in der Finanz- oder Steuerpolitik ist sie bürgerlich unterwegs. Sie ist ein Treiber der kantonalen Energie- und Ökologiewende. Die GLP befürwortet trotz Widerstand die Windenergie. Sie hat mit CVP und GP einen Vorstoss eingereicht, der eine Risikogarantie für eine Pilot-Windenergieanlage fordert.
«Mit Leidenschaft für Mensch und Umwelt»: So lautet das Jahresmotto der EVP Thurgau. Die weiteren Schwerpunktthemen lauten Ethische Wirtschaft, Familie und Gesundheit sowie der Kampf gegen den Menschenhandel. Das erklärte Ziel der Partei ist es, im Grossen Rat einen Sitz dazuzugewinnen: von fünf auf sechs. Wie die EDU kann auch die EVP dabei auf eine treue Stammwählerschaft zählen.
Bei den Grossratswahlen vor vier Jahren hatte die Evangelische Volkspartei Thurgau weder wesentlich Wähleranteil verloren noch gewonnen. Es blieb bei den bisherigen fünf Sitzen. Damals kam es jedoch zum Bruch mit der EDU, die EVP verliess die sechzehnjährige Fraktionsgemeinschaft und schloss sich der CVP an. Darin sah die Partei eine Chance, sich stärker als Mittepartei profilieren zu können. Eigene parlamentarische Vorstösse sind bei der EVP eher selten. Meist macht die Partei bei breit abgestützten Anliegen mit.
Die EDU hat vor vier Jahren einen Sitz verloren. Die fünf Mandate reichten gerade noch für eine eigene Fraktion. Für eine solche entschied sich die Partei, weil die EVP sich damals von der Fraktionsgemeinschaft verabschiedete und sich der CVP anschloss. Seither ist die EDU-Kleinfraktion bemüht, auf sich aufmerksam zu machen. Sie zählt auf eine treue Stammwählerschaft und hofft, zumindest Fraktionsstärke halten zu können.
«Unsere Politik besticht mit konstanten Werten, die sich nicht in opportunistischer Weise an momentane Ereignisse und Trends anpasst.» Dank diesem Rezept soll auch an den kommenden Wahlen eine Wählerstärke von rund fünf Prozent erreicht werden. Die EDU ist in jedem Bezirk mit einer Liste vertreten. Sie will, dass das Land so bleibt, wie es ist. Als störend erachtet die bibeltreue Partei die Zuwanderung von Menschen mit islamischem Glauben. Und für sie steht fest: Es gibt nur zwei Geschlechter.
Die Thurgauer BDP kämpft am 15. März um ihre letzten beiden Sitze im Grossen Rat. Die Partei tritt nur noch in den Bezirken Weinfelden und Frauenfeld, wo Andreas Guhl und Roland A. Huber ein Kantonsratsmandat besitzen, zu den Grossratswahlen an. Beide zählen zu den aktiven Parlamentariern. Doch der Partei fehlt es mittlerweile an Personal. In den anderen drei Bezirken reichte es mangels Kandidaten nicht mehr für eine Liste. Die Mission ist deshalb unmissverständlich: Die beiden Sitze halten.
Vor acht Jahren trat die Partei der damaligen Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf erstmals zu den kantonalen Wahlen im Thurgau an. Auf Anhieb kam sie auf fünf Sitze. Doch seither geht es bergab. Vor vier Jahren schaffte es die Partei noch auf drei Vertreter im Kantonsparlament. Und dann verlor sie sogar während der Legislatur noch einen Sitz. Der für die BDP gewählte Kantonsrat Alban Imeri wechselte zu den Sozialdemokraten.