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Ostschweiz
Frauenfeld & Hinterthurgau
Der Thurgau ist auch in Bezug auf seine Glasfenster ein Sonderfall. Das belegen zwei neue Forschungsarbeiten.
Das Jahr des Glases, das die Unesco für 2022 ausgerufen hat, wird im Kanton Thurgau besonders begangen. Es gibt Vorträge in den Museen, eine Sonderausstellung im Schloss Frauenfeld und im Herbst eine Tagung zu Glasobjekten im Allgemeinen. Besonders lange nachwirken werden zwei neue Bücher über die Glasmalerei im Kanton Thurgau, die beide derzeit gedruckt werden.
Der Fotograf Christoph Gysin war an einem der beiden Bücher massgeblich beteiligt. Zwischen März und November legte er rund 1500 Kilometer im Thurgau zurück – immer auf der Suche nach dem optimalen Licht für das nächste Glasfenster. «Viele sind auf den Ostseiten der Kirchen, und die leuchten natürlich morgens besonders schön», sagt er. «Aber dann hat man beim Fotografieren starkes Gegenlicht, sodass die Kontraste zwischen dunklen und hellen Tönen zu gross sind.» Ohne Stativ habe man gar keine Chance auf ein gutes Bild, so der Fotograf.
«Zusätzlich muss man Belichtungsreihen machen, mal unter- und mal überbelichten, sodass man später die Bilder übereinanderlegen kann, um sowohl Leuchtkraft als auch Details zu zeigen.»
Seine ersten Fotos machte er in Tägerwilen im maurischen Saal im Schloss Castell. «Das war schon etwas ganz Besonderes. Aber ich werde auch nie die kleine, fast unscheinbare Kirche von Oberaach bei Amriswil vergessen. Ich kam herein und war ganz überwältigt von den grossen Fensterbildern auf der ganzen Nordseite.» Das Bild ziert nun das Cover des neuesten Bands der Denkmalpflege «Licht- und Farbenzauber» zur Glasmalerei im Thurgau, der Anfang Juni erscheint.
Rund 240 Fotos sind Kernstück des Buchs. «Eine Augenweide», sagt Silvia Volkart, die gemeinsam mit dem ehemaligen Thurgauer Denkmalpfleger Ruedi Elser für die Organisation zuständig war.
«Wir wollen den Lesern Freude beim Anschauen bereiten und gleichzeitig wissenschaftlich fundierte Informationen bieten.»
Der erste Teil gibt einen Überblick über die Glasmalerei im Thurgau von Mittelalter bis 1930 anhand von 160 Werken. Der zweite Teil zeigt Highlights der modernen Glasmalerei von elf Kunstschaffenden mit Werken an 36 Standorten im Kanton. «Eine Grundlage für die Auswahl der Künstler war die 1999 publizierte Liste von Glasmalereien in Thurgauer Kirchen im Buch ‹Schätze des Glaubens›. Unsere Auswahl umfasst überdies aber auch profane Glasmalereien, die sehr viel seltener sind als sakrale Werke.»
Besonders stolz ist Silvia Volkart auf die ausklappbaren Bildtafeln zum Glasgemäldezyklus aus dem Kloster Tänikon. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts, als man nach der Reformation beschloss, das Leben im Zisterzienserinnenkloster Tänikon wieder zu aktivieren, wurden dort 42 Fenster in Auftrag gegeben. «Im 19. Jahrhundert sind die Werke aber verkauft worden, erst nach Konstanz, dann von dort weiter in alle Welt», sagt Volkart. Einiges konnte das Schweizerische Landesmuseum zurückkaufen, später auch das Historische Museum Thurgau. Gesamthaft kannte man den Zyklus aber nur von alten Schwarz-Weiss-Fotos. «Dank unserer Recherchen in Zusammenarbeit mit dem Vitrocentre Romont können wir 37 Gemälde abbilden. Einen Teil des Zyklus präsentieren wir als grossformatige Tafeln», sagt Silvia Volkart.
«Es ist das erste Mal, dass man das Ensemble wieder in ganzer Pracht sieht.»
Einen Beitrag im Band der Denkmalpflege hat Sarah Keller geleistet. Sie ist Expertin beim Vitrocentre Romont, einer Stiftung, die sich mit Unterstützung unter anderem von Bund und Nationalfonds der kunsthistorischen Erforschung der gläsernen Zeitzeugen widmet. Sarah Keller hat gerade gemeinsam mit ihrer Kollegin Katrin Kaufmann das Buch «Die Glasmalereien vom Mittelalter bis 1930 im Kanton Thurgau» abgeschlossen. Es wird im Mai erscheinen und ergänzt als Textband den Online-Katalog vitrosearch.ch, der als Recherchetool Informationen zu jeder der 1132 Scheiben im Kanton gibt, wahlweise thematisch, regional oder chronologisch geordnet.
Einen Vortrag von Sarah Keller gibt es am Donnerstag, 17. Februar, von 18 bis 19 Uhr im Rathaus Frauenfeld: «Von Löwen und Madonnen: kirchliche und weltliche Macht im Licht der Thurgauer Glasmalereien». Der Eintritt ist frei, es gelten die aktuellen behördlich angeordneten Covid-Massnahmen. Anmeldung: www.historisches-museum.tg.ch. Am 9. Juni von 18 bis 22 Uhr wird ebenfalls im Rathaus Frauenfeld die Doppel-Vernissage zur Glasmalerei im Thurgau gefeiert. (red)
«Wir klären, welche Rolle Glasmalerei im Thurgau hatte und welche Bildthemen es gab», so die Kunsthistorikerin. «Und das ist schon anders als in anderen Kantonen, weil der Thurgau eine Gemeine Herrschaft war. Anderswo haben die jeweils regierenden Stände Scheiben gestiftet. Das fiel hier weg – bis auf ein einziges bekanntes Exemplar, das jetzt im Landesmuseum aufbewahrt wird.»
Im Thurgau seien finanzkräftige Bürgerinnen und Bürger als Stifter rar gewesen, so Keller. «Das bedeutet, dass alte farbige Glasscheiben seltener und kleiner sind.» Weil der Thurgau von 1460 bis 1798 als Landvogtei durch die sogenannte «Alte Eidgenossenschaft» gemeinsam verwaltet wurde, war der Kanton keiner Konfession zugeordnet. Deshalb gibt es sowohl katholische, protestantische als auch paritätische Kirchen. «Das gab viele Fensterflächen, die man schmücken konnte. Mich als Wissenschafterin interessieren die unterschiedlichen Bildwelten. Verallgemeinert könnte man sagen: In evangelischen Kirchen nutzte man eher Symbole oder auch mal Porträts von Luther und Zwingli. Marienbilder gehören dagegen zur katholischen Bilderwelt.»
Das Projekt vom Vitrocentre wäre nach jahrelanger Vorbereitungsarbeit ohnehin jetzt abgeschlossen worden. «Das Jahr des Glases gibt nun aber die Chance auf ein grosses Rahmenprogramm, für das sich Gabriele Keck vom Historischen Museum sehr engagiert hat, und es ermöglicht die Doppel-Vernissage, mit der unsere Arbeiten ins Licht gerückt werden.»