Nach 18 Jahren als Frauenfelder Stadträtin will Christa Thorner wieder mehr gärtnern, kochen und Enkel hüten

Die dienstälteste Stadträtin hört nach 18 Jahren auf. Christa Thorner freut sich über den höheren Stellenwert von Familienpolitik im Lokalen. Angst vor einem Ruhestandsloch hat die Sozialvorsteherin nicht.

Interview: Stefan Hilzinger
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Stadträtin Christa Thorner in ihrem Büro. Im Hintergrund hängt eine Stadtansicht des Frauenfelder Malers Natale Sapone. (Bild: Reto Martin)

Stadträtin Christa Thorner in ihrem Büro. Im Hintergrund hängt eine Stadtansicht des Frauenfelder Malers Natale Sapone. (Bild: Reto Martin)

Christa Thorner, vor kurzem sagten Sie unserer Zeitung, dass Bette Midler Sie spielen müsse, sollte Ihr Leben einmal verfilmt werden. Warum?

Bette Midler ist eine Kämpferin. In einem ihrer Filme begleitet sie eine Freundin bis in den Tod, eine tiefgründige Rolle, die man von ihr so nicht erwartet. Mir gefällt auch ihre Rolle in «Der Club der Teufelinnen», wo sie eine Frau spielt, die sich mit List rächt, als ein Mann sie abserviert.

Sie sehen sich auch als eine Kämpferin?

(lacht)

Ja, in der Politik muss man schon kämpfen wollen.

Ab 1995 waren Sie im Frauenfelder Gemeinderat aktiv, ab 2001 im Stadtrat. Ihre zentralen Themen waren immer Jugend, Bildung und Familie. Warum eigentlich?

Ich hatte das Glück, in einer grossen Familie mit sechs Geschwistern aufzuwachsen.

Daher zieht sich das Thema Familie wie ein roter Faden durch mein Leben. Als fünftes von sieben Kindern war ich sehr privilegiert.

Ich konnte von älteren Geschwistern sehr viel lernen und auch den beiden jüngeren weitergeben.

Viele Politiker schwenken das Familienfähnlein. Hat die Familie den Stellenwert, den sie haben sollte?

Nein. Um etwas für Familien erreichen zu können, braucht es Ausdauer und eine innere Überzeugung, die ich wohl ausstrahlte. Und dann muss die Konstellation im Stadtrat stimmen. Anfangs hiess es immer noch: «Familie ist Privatsache.» Doch Politiker haben angefangen, umzudenken.

Wie gelingt es, politische Gegner zu überzeugen?

Ideologen lassen sich nicht überzeugen. Gemässigtere Politiker erreicht man in familien- oder sozialpolitischen Fragen mit Fakten und persönlichen Erfahrungen. Man holt sie so auf der menschlichen Ebene ab.

Warum hat die Einstellung zur Familienpolitik geändert?

Das hat eben auch mit den persönlichen Erfahrungen zu tun. Viele ältere Politiker, die sich noch gegen aktive Familienpolitik sperrten, sind heute Grosseltern und realisieren, welchen Belastungen die Familien ihrer Kinder ausgesetzt sind.

Für Sie war es in den 18 Jahren nie ein Thema, das Departement zu wechseln?

Nein, ganz und gar nicht. Familienthemen sind meine Leidenschaft. Unser Departement kam zwar nie in der Investitionsrechnung vor. Doch wir haben in die Menschen investiert: Frauenfeld hat das Unesco-Label einer familienfreundlichen Stadt erhalten, Tagesschulen sind mit der Schulgemeinde entstanden. Kitas haben Leistungsvereinbarungen mit der Stadt abgeschlossen.

Als ich anfing, gab Frauenfeld fürs Hundewesen 64'000 Franken aus. Für Kinderbetreuung waren es gerade mal 41'000 Franken.

Gesellschaftspolitik war praktisch bedeutungslos. Mittlerweile gibt es ein Amt für Gesellschaft und Integration mit einer Fachstelle für Frühförderung und Kinderbetreuung. In der Rechnung sind 720'000 Franken vorgesehen, davon ist die Hälfte für die Tagesschule.

Und für das Hundewesen wird nichts mehr ausgeben?

(lacht)

Doch, doch. Die Bewirtschaftung der Robydogs kostet natürlich auch etwas.

Rednerin im Grossen Rat. (Bild: Reto Martin (17. Dezember 2015))

Rednerin im Grossen Rat. (Bild: Reto Martin (17. Dezember 2015))

Kinder haben also mittlerweile einen höheren Stellenwert als das Hundewesen?

Klar doch. Das zeigt sich auch am Beispiel der Partizipation der Kinder. Seit fünf Jahren gibt es den Kinderrat. Seit vergangenem Sommer steht der vom Rat initiierte Pumptrack bei der Hinteren Badiwiese. Als Nächstes wollen wir einen Jugendrat schaffen. Das Projekt wird nun aber meine Nachfolgerin umsetzen dürfen.

Frauenfeld ist in den vergangenen zwanzig Jahren stark gewachsen und urbaner geworden.

Der spürbare gesellschaftliche Wandel zeigt sich auch in einem neuen Selbstbewusstsein der Frauenfelder. Wir wohnen nicht mehr in einer kleinen Landstadt.

Im Wahlkampf 2001 sagten Sie: «Frauenfeld ist noch kein Feld der Frauen.» Wie sieht das heute aus?

Wir sind noch nicht da, wo wir sein könnten – nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft und der Gesellschaft überhaupt. Die Konferenz der städtischen Amtsleiter ist immer noch sehr männlich. Leider melden sich immer noch sehr wenige Frauen für solche Stellen. Es ist aber immerhin mittlerweile selbstverständlich, dass auch in Führungspositionen Teilzeit gearbeitet werden kann. Im mittleren Kader hat die Stadt viele Frauen. Auch Männer dürfen Teilzeit arbeiten. Homeoffice ist ebenfalls möglich. Hier hat sich die Stadt in Einzelschritten doch etwas weiterentwickelt. Ich bin auch froh, dass weiterhin zwei Frauen in der Stadtregierung sitzen. Den Frauenstreik braucht es aber trotzdem.

Rudern ist eines Ihrer Hobbys. Wo rudern Sie lieber, auf dem See oder in der Politik?

Auf dem See ... wobei, die Frage ist gut. Im Stadtrat sitzen wir ja auch alle im gleichen Boot. Man muss sich auf einander einstimmen. Und wenn nur einer den Schlag nicht abnimmt, dann gleitet das Boot nicht, und man kommt nicht vorwärts.

Und wie haben Sie es mit dem Zurückrudern in der Politik?

Dafür gibt es das Kommando «Ruder halt!». Und dann schauen wir, wohin es gehen soll. Nötigenfalls auch retour.

Wahlkämpferin für den Stadtrat. (Bild: Susann Basler, (20. Januar 2003))

Wahlkämpferin für den Stadtrat. (Bild: Susann Basler, (20. Januar 2003))

Ist das nicht furchtbar, wenn man vermeintlich gute Ideen und Visionen hat?

(lacht)

Ja, doch, mühsam ernährt sich das Eichhörnchen. Die Arbeit in einer Exekutive ist da etwas dankbarer als die Parlamentsarbeit. Willy Ritschard sagte einmal: «Demokratie ist die Staatsform der Geduld.»

Mit welchem Gefühl verabschieden Sie sich nun?

Mit Vorfreude, mehr Zeit für mich zu haben. Stadträtin ist man sieben Tage die Woche, auch wenn es ein Teilamt ist. Die Menschen, mit denen ich zusammengearbeitet habe, werde ich allerdings vermissen. Das berüchtigte Loch macht mir keine Angst. Ich habe einen grossen Garten und koche gerne. Und dann bin ich ja auch noch glückliche zweifache Grossmutter.