Fall Maudet: Wäre eine Amtsenthebung eines Regierungsrates im Thurgau möglich?

Nur Pierre Maudet kann Pierre Maudet zum Rücktritt zwingen. Die Mehrheit der Kantone kennt – wie Genf – kein Amtsenthebungsverfahren. Anders der Thurgau.

Sebastian Keller
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Der Genfer FDP-Staatsrat Pierre Maudet zeigt sich von den Rücktrittsforderungen unbeeindruckt. (Bild: Valentin Flauraud/KEY)

Der Genfer FDP-Staatsrat Pierre Maudet zeigt sich von den Rücktrittsforderungen unbeeindruckt. (Bild: Valentin Flauraud/KEY)

Die Bekanntheit von Regierungsräten endet meist an der Kantonsgrenze. Eine Ausnahme bildet Pierre Maudet. Der Genfer FDP-Staatsrat beherrscht die Schlagzeilen seit Monaten – auf beiden Seiten des Röstigrabens.

Obschon die Justiz ermittelt, ihn seine Regierungskollegen schrittweise entmachten, die FDP Schweiz seinen Rücktritt fordert: Maudet will im Amt bleiben; Rücktrittsforderung prallen an ihm ab wie Regentropfen an einer Gore-Tex-Jacke. Ins Visier der Justiz geriet der 40-Jährige, weil er sich nach Abu Dhabi einladen liess. Ihm wird «Vorteilsnahme im Amt» vorgeworfen.

Mittlerweile kennt die Schweiz nicht nur Maudet, sondern weiss auch, dass in Genf eine Amtsenthebung nicht möglich ist. Das heisst: Weder Parlament noch Regierung könnten Maudet zum Rücktritt zwingen. Das kann nur er selber. Und das Volk? Es könnte ihn bei den nächsten ordentlichen Wahlen nicht mehr wiederwählen. Diese finden erst im Jahr 2021 statt.

Im Thurgau wählt das Volk und könnte auch abberufen

Als einer von sechs Kantonen kennt der Thurgau eine Amtsenthebung – genannt Abberufung, geregelt in der Kantonsverfassung, Artikel 25. Die Hürde ist hoch: 20 000 Stimmberechtigte können die Abberufung des Grossen Rates oder des Regierungsrates verlangen – für eine Initiative sind 4000 Unterschriften notwendig.

Die Frist zum Sammeln der Unterschriften beträgt drei Monat. Das letzte Wort hat das Volk an der Urne. Heisst es das Abberufungsbegehren gut, müssen spätestens drei Monate danach Neuwahlen abgehalten werden.

Wie im «Wegweiser durch die Thurgauer Verfassung» von alt Regierungsrat, alt Ständerat und Jurist Philipp Stähelin zu lesen ist, wurde davon aber noch nie Gebrauch gemacht. Die Regelung besteht seit 1869. Stähelin schreibt: «Der Verfassungsgeber hat das Recht beibehalten, weil es in eindrücklicher Weise die Unterordnung auch der obersten Behörden unter das Volk aufzeigt.» Und weiter: «Das Volk wählt und kann seine Wahl auch jederzeit wieder rückgängig machen.»

Im Thurgau könnte nicht – wie im Fall Maudet von einigen Kreisen gefordert – nur ein Regierungsmitglied abberufen werden. «Das Abberufungsverfahren kann sich nur gegen das gesamte Gremium richten, nicht gegen beispielsweise ein einzelnes Mitglied des Regierungsrates», hält Stähelin fest. Möglich wäre die gleichzeitige Abberufung der Exekutive und der Legislative.

BDP will Amtsenthebung im Aargau wieder einführen

Im Aargau will die kantonale BDP – angestachelt durch Maudets Sitzleder - die Möglichkeit einer Amtsenthebung schaffen. Ende Januar gab die Partei den Startschuss für eine entsprechende Initiative bekannt. Bei der Ausgestaltung orientieren sich die Aargauer aber nicht am Thurgau, sondern an Graubünden. Dort können drei Viertel des Kantonsparlaments ein Regierungsmitglied des Amtes entheben. Aber nicht nach Lust und Laune: Der fragliche Regierungsrat muss etwa wegen eines Verbrechens verurteilt worden sein.

Das Volk geht mit der Möglichkeit der Amtsenthebung behutsam um. Nur ein Mal – 1862 im Aargau – wurde ein Kantonsparlament vom Volk in die Wüste geschickt. Daraufhin trat auch die Regierung geschlossen zurück. 1980 schaffte der Aargau das Abberufungsrecht wieder ab.