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Ostschweiz
Frauenfeld & Hinterthurgau
Bis Ende Jahrhundert sollten 189 Kilometer geschafft sind. Das Ziel ist nicht erreichbar beim gegenwärtigen Tempo von einem Kilometer pro Jahr.
Der Biber gehörte zu den ersten, welche die revitalisierte Murg in Frauenfeld entdeckten. Inzwischen nutzen auch Menschen den 2015 eröffneten Murg-Auen-Park. Doch in der breiten Öffentlichkeit ist es wenig bekannt, wie attraktiv ein revitalisierter Fluss ist.
Das ist der Grund, weshalb der Thurgau bei der Revitalisierung seiner Gewässer nur langsam vorankommt, meint Claudia Eisenring, im kantonalen Amt für Umwelt für Bachprojekte zuständig: «Es braucht eine Anlaufzeit.» Revitalisierungen seien in der ganzen Schweiz schwierig durchzusetzen.
Beispielsweise will der Kanton am Rhein oberhalb der Diessenhofer Badeanstalt eine 2095 Meter lange Ufermauer abreissen. Das Projekt entzweit Diessenhofen. Bei einer Konsultativabstimmung 2017 waren 84 Teilnehmer einer Orientierungsversammlung gegen die Revitalisierung, 82 dafür.
Diese Kluft zeigte sich auch bei einem runden Tisch Anfang 2018. Departementschefin Carmen Haag (CVP) stufte darauf die oberen 907 Meter von der ersten in die zweite Priorität zurück. Der Rest verblieb in der dritten Priorität, während kleinere Abschnitte von total 745 Metern oberhalb des Campingplatzes in erster Priorität behandelt werden. «Man fängt dort an, wo Konsens herrscht», erklärt Projektleiterin Eisenring.
Wenig Freude zeigte die Igra (Interessengemeinschaft Rheinuferaufwertung). Ihre Vertreterin, die Diessenhofer CVP-Kantonsrätin und Stadträtin Maja Bodenmann, reichte zusammen mit Toni Kappeler (GP, Münchwilen) eine Interpellation ein.
Mit dem Gewässerschutzgesetz von 2011 verpflichtete das eidgenössische Parlament die Kantone, der Ökologie mehr Raum zu geben. Dabei handelte es sich um den Gegenvorschlag zur zurückgezogenen Volksinitiative «Lebendiges Wasser», für die der Fischereiverband und Umweltverbände 160000 Unterschriften gesammelt hatten.
Die Kantone müssen in den nächsten 80 Jahren, also noch in diesem Jahrhundert, einen Viertel der Fliessgewässer revitalisieren, die in einem schlechten Zustand sind. Im Thurgau sind 189 Kilometer betroffen.
Gemäss einem Fahrplan des Amts für Umwelt von 2015 werden bis 2035 die ersten 47 Kilometer revitalisiert. Davon gehören 16 Kilometer zu Projekten erster Priorität, die bis 2021 beendet sein sollten. Die Projekte zweiter Priorität folgen bis 2028, der Rest bis 2035.
Nach vier Jahren ist der Revitalisierungszug noch kaum in Fahrt gekommen, wie die Ende Juni veröffentlichte Interpellationsantwort des Regierungsrats zeigt. Erst 4 Kilometer sind geschafft. Sie bestehen aus 17 Projekten des Kantons und der Gemeinden und 3 Projekten am Rhein der SH Power AG. Geht es in diesem Tempo – 1 Kilometer pro Jahr – weiter, dauert es bis Ende des nächsten Jahrhunderts, bis der Thurgau die Bundesvorgabe erfüllt hat.
Die Kadenz müsse deutlich erhöht werden, verlangt CVP-Kantonsrätin Bodenmann. Der Regierungsrat habe in Diessenhofen den Weg des geringsten Widerstands eingeschlagen. Mindestens der Abschnitt Riiwis, der im Kantonsbesitz sei, sollte laut Bodenmann in der ersten Priorität bleiben.
Unter dem früheren Stadtammann Walter Sommer (FDP) sprach sich der Diessenhofer Stadtrat klar für eine Renaturierung aus. Der heutige Stadtpräsident Markus Birk (SP), seit 2017 im Amt, hält sich zurück:
«Da ein grosser Teil der Bevölkerung gegen den Abbruch des Wanderwegs ist, ist es für mich okay, dass der Abschnitt zwischen Badi und Campingplatz in der Priorität zurückgestuft worden ist.»
Birk betont, dass er grundsätzlich Renaturierungen befürwortet. Als Stadtrat habe er den Anstoss für die Renaturierung oberhalb des Badeplatzes St. Katharinental gegeben.
Birk ist Mitglied der Diessenhofer Pontoniere und treidelt auch selber mal einen Weidling. Der Verein der Diessenhofer Pontoniere hat 80 aktive und mehrere hundert passive Mitglieder. Mindestens dreimal im Jahr treideln und stacheln die Pontoniere allein durch Muskelkraft zehn Kilometer nach Stein am Rhein hinauf.
Sie laden die Diessenhofer Bevölkerung und Gäste ein, mit ihnen zu gehen und auf den Booten zurück nach Diessenhofen zu fahren. Je weniger die Pontoniere treideln können, umso mehr müssen sie stacheln, was anstrengender ist. «Wenn man alles stacheln muss», sagt Birk, «kommt vielleicht nicht mehr jeder Pontonier mit, oder es muss motorisiert hochgefahren werden».