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Vor 150 Jahren wurden erstmals Güterwagen von Romanshorn über den Bodensee befördert. Gleichzeitig ging das erste Teilstück der Seelinie in Betrieb. Doch fast wäre alles ganz anders gekommen.
Einst war Romanshorn ein beschauliches Fischerdorf. Bis das Dampfzeitalter anbrach, Schiff und Bahn den Aufschwung brachten. Der Ort wurde zum Brückenkopf für Verbindungen über den Bodensee, der bis anhin als Hindernis wahrgenommen worden war. Der Güter-Trajektverkehr bedeutete für Romanshorn 1869 das «Tor in die Welt». Dabei hätte alles anders kommen können.
Max Brunner schreitet die breite Steintreppe des alten Zollhauses hoch. Im Dachgeschoss befindet sich das Museum am Hafen. Seit zehn Jahren präsidiert der ehemalige Gemeindeammann die Museumsgesellschaft. Sie hegt dort als Schwerpunkt Exponate der Verkehrsgeschichte. Nicht von ungefähr heisst die Stadt im Volksmund Bähnlerdorf. Die Blütezeit, nach dem Rückbau des Rangierbahnhofs, ist zwar vorbei, die Funktion als bedeutende Verkehrsdrehscheibe aber blieb erhalten.
Der vom Industriellen Alfred Escher, Vizepräsident der Schweizerischen Nordostbahn (NOB), und Minister Johann Konrad Kern gepushte Bau der 1855 eröffneten Thurtallinie nach Romanshorn schuf erst die Voraussetzung für den Weitertransport der Waren in den Güterwagen über den See, die eine Lok über eine Rampe direkt auf Trajektschiffe rangierte. Damit entfiel der zeitaufwendige Umlad auf die Lastkähne. Ab 1869 wurden Güterwagen direkt auf den Schiffen übersetzt, zunächst nach Friedrichshafen und Lindau.
Die treibenden Kräfte wollten den Wirtschaftsraum Süddeutschland über den Brückenkopf Romanshorn erschliessen. Die Thurtallinie wurde zum Zubringer, weil ihre politisch schwergewichtigen Promotoren des NOB-Projekts die Nase knapp vorn hatten. Nur ein Jahr später war nämlich Rorschach via Winterthur–St. Gallen durch die Bahn von den Vereinigten Schweizerbahnen (VSB) erschlossen worden.
Nach und nach entstanden neue Trajektverbindungen. Die alten Lädinen verschwanden. Der Beginn des Dampfschiffzeitalters kurbelte die Entwicklung an. Nicht alle Neukonstruktionen waren bahnbrechend. So verkehrte ein mächtiges Dampftrajektschiff nur 13 Jahre lang nach Friedrichshafen. Fast eine Tonne Kohle pro Überfahrt wurde benötigt, was sich als nicht wirtschaftlich erwies. So wurde der «Kohlefresser» bald ausgemustert. Kleinere Dampfer wurden als Zugschiffe eingesetzt, die bis zu drei Holzkähne mit Güterwagen in Schlepp nahmen.
Später verkehrten Motortrajektschiffe über den See. In der Regel hatten auf dem Deck acht Güterwaggons auf zwei parallelen Geleisen Platz. Sie konnten Güterlasten bis 120 Tonnen befördern. Nicht immer ging alles glatt. So hatte 1930 eine Rangierlok die Güterwagen auf das Trajektschiff geschoben, das an der Brücke nicht richtig vertäut gewesen war. Die Lokomotive zur Hälfte und vier Güterwagen ganz – beladen mit Zucker – plumpsten ins Hafenbecken. Seither, so heisst es, sei das Schwäbische Meer ein Süsswassersee.
Die Auto-Motorfähre «Friedrichshafen», die heute neben der MF «Romanshorn» und der MF «Euregia» den Fährbetrieb zwischen Romanshorn und Friedrichshafen aufrechterhält, diente nach dem Stapellauf 1966 zunächst unter dem Namen «Rorschach» als reine Eisenbahnfähre. 1976 beförderten die SBB die letzten Güterwagen über den See.
Eine Strassenverbindung von Amriswil nach Romanshorn bestand schon seit 1839, bevor 1855 die Bahn durchs Thurtal herangeführt und 1869 der Gütertrajektbetrieb aufgenommen wurde. Im selben Jahr erlebte die Region die Eröffnung der Bahnlinie zwischen Romanshorn und Rorschach – das erste Puzzle der Seelinie. Nur zwei Jahre später befuhren die Züge die erweiterte Strecke bis Konstanz.
So logisch diese Trasseeführung dem See entlang aus heutiger Sicht scheint, so selbstverständlich war das damals nicht. Zuvor war nämlich ein erbitterter Kampf um den Linienverlauf entbrannt. Vom Scheitel Amriswil sollte die Ostachse durchs Egni nach Rorschach, die Westachse über den Seerücken nach Kreuzlingen/Konstanz geführt werden. So wollte es der einflussreiche Politiker und NOB-Direktor Eduard Häberlin. Romanshorn fühlte sich düpiert. Ein Komitee um Regierungsrat Philipp Gottlieb Labhardt widersetzte sich erfolgreich und verhalf einer Ufervariante mit dem Knoten Romanshorn zum Durchbruch.
Mit der Gründung der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) waren 1902 die Hauptlinien des Bahnnetzes verstaatlicht worden. Mit der wettbewerbspolitisch erwirkten Erteilung der Konzession des Seelinienbetriebs an die innovative Mittelthurgaubahn (MThB) im Rahmen eines schweizweiten Pilotprojekts 1996 erhoffte man sich neue Impulse für den Bahnregionalverkehr. Es war ein Weckruf für die Bundesbahnen, die nach dem Konkurs der MThB 2002 über die damals neugegründete SBB-Tochter Thurbo die modernisierte Seelinie wieder übernahm.
(me) Am ersten Mai-Wochenende (4. und 5.) steigt das Jubiläumsfest «150 Jahre Seelinie und Trajektverkehr» unter dem Motto «Ein See, drei Länder, sieben Städte». Beteiligen werden sich Romanshorn, Kreuzlingen/Konstanz, Rorschach, Bregenz, Lindau und Friedrichshafen mit vielen Veranstaltungen: Austellungen, Rundfahrten, Zugtaufe bis zu einem Sonderbriefmarkenverkauf. Eine Eventfähre verkehrt auf dem oberen Bodensee. Thurbo bietet Sonderfahrten bis Lindau an, die SBB lassen zwischen Kreuzlingen und Rorschach den neuen Fernverkehrs-Doppelstockzug verkehren. Das ganze Programm ist auf
www.bodensee-150jahre.com ersichtlich.
Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Vorabdruck einer im nächsten «Thurgaumobil»-Magazin erscheinenden ausführlicheren Fassung.