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Die überwältigende Annahme der Initiative für das Öffentlichkeitsprinzip ist auch der Erfolg einer Gruppe von Kantonsräten von Links bis Rechts, die seit Jahren bei der Aufklärung kleinerer und grösserer Skandale zusammenarbeiten.
Selten politisierten der Thurgauer Regierungsrat und das Parlament so am Volk vorbei wie beim Öffentlichkeitsprinzip. Nach dessen Einführung auf Bundesebene 2006 erklärte der Regierungsrat, er müsse nicht zu stärkerer Transparenz verpflichtet werden. Er bemühe sich ohnehin, stets offen und umfassend zu informieren.
Als der grünliberale Kantonsrat Ueli Fisch 2014 das Thema wieder aufnahm, legte sich der Regierungsrat immer noch quer. Auch im Grossen Rat fand Fisch lediglich 26 Mitunterzeichner seiner Motion und das Plenum versenkte diese sang- und klanglos mit 79 Nein zu 30 Ja.
Doch ein Komitee um Fisch setzte mit einer Volksinitiative nach. Letzten Sonntag nahm das Thurgauer Volk die Vorlage mit der überwältigenden Ja-Mehrheit von 80 Prozent an.
Dazu beigetragen hatte die Untersuchungskommission des Hefenhofer Tierschutzskandals. In ihrem Schlussbericht vom Oktober 2018 hatte sie die Einführung des Öffentlichkeitsprinzips empfohlen. In der Folge wehrte sich der Regierungsrat nicht mehr gegen die Initiative und auch der Grosse Rat stimmte knapp dafür.
Einen wichtigen Beitrag an den Umschwung leistete eine Gruppe von Kantonsräten, die sich bei den Skandalen und Skandälchen der letzten Jahre als Kritiker profiliert hatten. Sie engagierten sich unter anderem bei der Aufdeckung der fehlgeleiteten Planung des Kunstmuseums-Neubaus, dem Fall Hefenhofen und der Entlassung des Vizerektors der Pädagogischen Hochschule (PH).
Zu dieser informellen Gruppe zählen die SVP-Kantonsräte Urs Martin und Hermann Lei; beide machten im 14-köpfigen Initiativkomitee mit und beide hatten 2014 die Motion Fisch unterzeichnet. In wechselnder Besetzung finden sich jeweils Angehörige verschiedener Fraktionen zusammen und unterstützen sich über die Parteigrenzen hinweg.
«Wir bezeichnen uns manchmal im Scherz als Fraktion der kritischen Geister», sagt Lei. Um eine organisierte Gruppe handle es sich nicht; die Zusammenarbeit sei locker und hänge vom Thema ab.
Dass auch der Grüne Kurt Egger zur Kritikergruppe zählt, überrascht wenig. Angehörige von Nichtregierungsparteien neigen ohnehin zu Kritik an der regierenden Mehrheit. So kann der ehemalige SP-Kantonsrat Peter Dransfeld, der zum Kunstmuseum und der PH Vorstösse einreichte, nach seinem Wechsel zu den Grünen unbeschwerter politisieren.
Auch der frühere SP-Präsident Peter Gubser profilierte sich als Kritiker der Kunstmuseumsplanung. Dabei kam es ihm zu Hilfe, dass der eigene Regierungsrat nichts damit zu tun hatte.
«Genau hinzuschauen ist die Aufgabe von uns Kantonsräten», sagt Urs Martin. Es gehe um die Geisteshaltung: bereit zu sein, etwas kritisch zu hinterfragen. Martin hatte sich schon gleich nach seiner Wahl 2008 zusammen mit Gubser für die Aufklärung des EKT-Debakels engagiert; bei der Pleite der Lehman-Brothers-Bank hatte der kantonseigene Betrieb 28 Millionen Franken verloren.
«Wir sind nicht per se kritisch», sagt Martin, «wenn etwas gut gemacht wird, sagen wir es auch.»
Die Zusammenarbeit der Kritiker ist laut Egger einfach zu erklären: «Mit dem Thema Govenance». Die Grüne Partei achte «relativ streng» darauf, dass alles mit rechten Dingen zugehe. Auch in der SVP gebe es solche Leute. Sie würden sich gegen Filz wehren und dagegen, «dass überall die gleichen Leute drin sind – in der Kartause, im Spital, in der Bank».
Laut dem Grünliberalen Fisch können sich Hermann Lei und Urs Martin eine parteiunabhängige Position leisten, weil sie wenig in Parteigremien involviert seien und keine Regierungsratsambitionen hätten: «Sie haben nicht viel zu verlieren.»
Rechtsanwalt Lei kommentiert: «Ich habe einen Beruf, der mir Spass macht und ein gutes Einkommen sichert. So ist es einfach, das Maul aufzumachen.» Er mache sich damit nicht immer beliebt bei den eigenen Leuten. «Wenn es die eigenen Regierungsräte trifft, hat man es in der Partei nicht so gern.» Das gelte auch für Vorstösse, die er mit Vertretern der andern Ratsseite einreiche. Gemassregelt worden sei er deswegen aber noch nie.
Urs Martin, Leiter Public Affairs der Privatklinikkette Hirslanden, findet es «völlig normal, dass man nicht immer auf die eigenen Leute Rücksicht nimmt. Sonst wird man unglaubwürdig.»
Im Komitee der Initiative für das Öffentlichkeitsprinzip engagierte sich auch SVP-Kantonsrat Pascal Schmid. Der Weinfelder Bezirksgerichtspräsident sitzt seit 2016 im Grossen Rat, während Lei wie Martin seit 2008 dabei ist. «Hoffentlich bin ich als kritischer Geist im Grossen Rat tätig», sagt Schmid. «Dafür bin ich gewählt worden.»
Ihm sei es wichtig, «dass das Parlament möglichst viel Gewicht gegen die mächtige, ja teils übermächtige Verwaltung hat». Die SVP Thurgau habe einen «hohen Respekt vor anderen Meinungen». Das sei nicht überall so. Für eine Volkspartei sei Basisdemokratie von zentraler Bedeutung.
Die Öffentlichkeitsprinzip-Initiative ist laut Schmid von den SVP-Delegierten «mit viel Anstand und Respekt» diskutiert worden. Er habe die Ja-Parole nicht erwartet: «Ich dachte, ich verliere.»
«Kritische Mitglieder hatten wir schon immer», sagt SVP-Parteipräsident Ruedi Zbinden, der sich persönlich gegen die Öffentlichkeitsprinzip-Initiative engagierte. Gemassregelt werde niemand. «Eine klare Meinung – das wird von allen erwartet.» Allerdings gibt es für Zbinden Grenzen: «Wenn jemand in der Partei total unterlegen ist, ist es vielleicht gescheiter, wenn er nichts macht.»
Trotz gelegentlicher abweichender Meinungen sehen sich Lei, Martin und Schmid alle gut verankert in der SVP. Er stimme mit der Mehrheit der Partei überein, zeigt sich Lei überzeugt. Dies insbesondere bei den Themen EU, Einbürgerung und Asyl. «Ich sage es vielleicht etwas pointierter.»
Fisch bezeichnet Lei als «Scharfmacher in der Ausländerpolitik». Bei diesem Thema verstehe er sich überhaupt nicht mit ihm. Sie könnten trotzdem zusammen ein Bier trinken. «Und wenn Lei Teil der Lösung ist, wieso soll ich nicht mit ihm zusammenarbeiten?»