Interview
«Berufsbildung in den USA ist sehr theoretisch»

Die promovierte Politologin Raphaela Schlicht-Schmälzle von der Michigan State University hat die Reise der Delegation organisiert. Sie sagt, wie Berufsbildung in den USA funktioniert und wo es Reformbedarf gibt.

Sebastian Keller
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Raphaela Schlicht-Schmälzle von der Michigan State University. (Bild: Reto Martin)

Raphaela Schlicht-Schmälzle von der Michigan State University. (Bild: Reto Martin)

Gibt es die Berufsbildung mit der Lehre, wie wir sie in der Schweiz kennen, in den USA nicht?

Nein. Die berufsvorbereitende Bildung findet an Universitäten oder an den Colleges statt. Diese ist sehr theoretisch. Arbeitgeber sind kaum eingebunden.

Das heisst: Zuerst die Bildung und dann die Praxis?

Den direkten Berufseinstieg nach der High-School wählen meist nur schwache Schüler, die das machen müssen, weil sie keinen Collegeplatz bekommen haben oder es sich nicht leisten können. Im Schnitt kostet ein Jahr Uni oder College rund 50000 Franken. Sie haben dann aber schlechte Karriereaussichten.

US-Delegationen besuchen verschiedene Länder. Will man das Berufsbildungssystem reformieren?

Es findet eine politische Debatte statt, weil die Bildung so stark von den praktischen Herausforderungen der Arbeitswelt entfernt sind; die beiden Welten sind abgekoppelt. Oft ist es so, dass College- oder Universitätsabgänger schlecht auf die Berufswelt vorbereitet sind, obwohl sie viel Geld für ihre Ausbildung bezahlt haben.

Wäre das Schweizer System in den USA möglich?

Das dürfte schwierig werden. Man müsste ein ganz neues System aufbauen. In der Schweiz ist die Kooperation institutionalisiert. Der staatliche Sektor, der Privatsektor und die Sozialpartner arbeiten zusammen. Nicht so in den USA. Es reicht nicht, wenn eine Schule sagt, ich mache das. Denn: 200 Kilometer weiter könnte wegen den fehlenden Standards niemand etwas damit anfangen.

Müsste man in grösseren Dimensionen denken?

Das müsste auf der Ebene der Bundesstaaten diskutiert werden. Michigan, der Staat, in dem ich lebe, ist so gross wie Deutschland, hat aber mit elf Millionen weniger Einwohner. Interessant ist, dass europäische Unternehmen mit Standorten in den USA den Wunsch haben, ihr Ausbildungssystem in Übersee zu etablieren. Einzelne Initiativen gibt es.

Wie wichtig sind solche Fragen für das Weisse Haus?

Die Initiativen kommen nicht vom Weissen Haus. Es gab aber unlängst von Washington eine Exekutive Order, ein Dekret des Präsidenten, das Berufsbildungssystem zu stärken. Das ist ein positives Signal. Bildung ist aber Sache der Bundesstaaten.