Ein Windprojekt sorgt für einen Sturm der Entrüstung. Höher als das höchste Gebäude des Landes sollen die Windräder zwischen Wuppenau und Braunau in den Himmel ragen. Ein grosser Kritikpunkt sind die Abstände zum Siedlungsgebiet.
WUPPENAU. Bei klarer Sicht sind Säntis und Churfirsten zum Greifen nahe. Auf dem Sitzplatz vor seinem Haus auf dem Greutensberg oberhalb von Wuppenau sieht Maurus Duelli aber noch viel mehr. Ein wunderbares Panorama kann sich von den Österreicher über die Glarner bis zu den Berner Alpen aufbauen. Doch in Duellis kleinem Paradies gibt es grosse Probleme. Diese sind genau 200 Meter hoch – höher als das Hochhaus von Roche in Basel, das höchste Gebäude der Schweiz.
«Gigantisch und gefährlich», sagt der pensionierte Ingenieur ETH, seien die geplanten Windräder auf dem Hügelkamm zwischen Braunau und Wuppenau. Das Fundament eines einzelnen Windrads sei dreimal so gross wie sein Haus. Vier oder fünf solcher Kolosse könnten in seiner Nachbarschaft Strom aus Windenergie für rund 6000 Haushalte produzieren. Das gab die Energiefirma Ennova, eine Tochtergesellschaft der Genfer Stadtwerke, letzte Woche bekannt.
Knapp zwei Jahre lang hat diese auf dem Hügelkamm den Wind gemessen und daraus die Wirtschaftlichkeit von Windenergie errechnet. Doch die geplanten Windräder fordern ihren Tribut. Duelli bekam ein mulmiges Gefühl, begann sich über Windenergie zu informieren. «Dabei ist es mir fast schlecht geworden», erzählt er und blickt hoch auf den Hügelkamm, wo der Windmessmast 90 Meter in den Himmel ragt.
Duelli klappt auf dem Sitzplatz sein Laptop auf. Dokumentationen von ARD, SWR und Spiegel TV erklären die Probleme in bewegten Bildern: Lärm, Wertminderung von Liegenschaften und Infraschall werden darin beleuchtet. «Draussen sitzen ist kein Thema mehr», sagt ein Mann in die Kamera, während hinter ihm die Windräder drehen. «Grosswindanlagen derart nahe an Wohnhäusern, bringt den Anwohnern unendlich viel Probleme», sagt Duelli. Deshalb würde sich in Regionen mit Windenergie-Erfahrung nicht nur laufend mehr Widerstand formieren, auch werde der gesetzliche Mindestabstand zu bewohnten Gebäuden immer weiter erhöht.
«In Baden-Württemberg wäre das Windpotenzial-Gebiet Braunau-Wuppenau, wie es der Kanton Thurgau in seinem Richtplan definieren will, undenkbar» sagt Duelli. Denn dort ist ein Abstand von 700 Metern zu Siedlungen vorgeschrieben. Duelli selber würde aber nur rund 500 Meter vom Windpark entfernt wohnen. «In Bayern gilt sogar die sogenannte 10H-Regelung.» Durch diese muss der Abstand eines Windrads zu bewohntem Gebiet dem zehnfachen der Gesamthöhe der Anlage entsprechen. 200 Meter hohe Räder hätten folglich einen Radius von zwei Kilometern an einzuhaltendem Abstand zur Folge.
«Diese Regelung ist europaweit im Aufwind und sollte aus meiner Sicht auch im revidierten Thurgauer Richtplan festgeschrieben werden», sagt Duelli. «Doch unsere Energie-Beamten beim Kanton sind von der Energie-Lobby gesponsert», prangert Duelli an. Und die beiden kleinen Gemeinden Wuppenau und Braunau müssten für saubere Thurgauer Windenergie bluten, für welche die Betreiber Bundessubventionen beziehen müssen.
Im Thurgau käme wohl mit der 10H-Regelung kein Standort mehr als Windpark in Frage. Derzeit ist hierzulande der Abstand von Siedlungen zu Windpärken nicht explizit im Recht geregelt. Gestützt auf die Lärmschutzverordnung wird aktuell ein Abstand von 300 Metern angewendet. «Das basiert aus dem Lärmschutzgesetz aus dem Jahr 1984», sagt Duelli. «Damals waren solche Windräder noch 40 Meter hoch, die negativen Begleiterscheinungen nicht vergleichbar.» Ein moderner Thurgauer Richtplan müsste auch hinsichtlich der Abstände aktuelle Daten einfliessen lassen, findet der 71Jährige. «Ich wollte anfänglich den Wuppenauer Gemeinderat überzeugen, dass wir uns gegen dieses Projekt wehren müssen», sagt Duelli. Das hat er geschafft. Mittlerweile hat der Greutensberger auch einen grossen Teil der Bevölkerung Wuppenaus hinter seiner Idee.
Die ins Leben gerufene «IG Lebensqualität Wuppenau» sammelte im 1000-Seelen-Dorf kurzerhand 400 Unterschriften gegen das eingetragene Windpotenzial-Gebiet im kantonalen Richtplan. Denn in Wuppenau, wie auch in Braunau, löst das Windprojekt einen Sturm der Entrüstung aus.
Dieser breite Widerstand gegen die Windräder könnte bereits das Ende von Thurgauer Strom aus Grosswindanlagen bedeuten, bevor es jemals solchen gab.