STECKBORN. Alteingesessene, aber auch in Steckborn Angeschwemmte, trauern um ein Stück Stadtbefestigung in der Nähe des Turmhofs. Die Mauer wurde vor kurzem abgerissen. Doch war sie auch wirklich alt?
«Ich hatte eine Bewilligung für den Abbruch.» Investor Alessandro Pestalozzi, Mitinhaber der Pestalozzi Consulting Group aus Islikon, saniert zurzeit die Häuser an der Seestrasse 78 und 80 für bis zu fünf Millionen Franken. Nun hat er im Zuge der Arbeiten die Mauer am Seeufer abbrechen lassen.
Doch Steckborner vermissen die Mauer: «Das muss ein Stück der alten Stadtmauer gewesen sein», sagt Hans Peter Hausammann. Er leitete 30 Jahre lang das Heimatmuseum im Turmhof. «Die Bollensteine zeigten, dass die Mauer aus dem Mittelalter stammte», sagt Hausammann. Zudem gibt es in Steckborn durchaus noch alte Stadtmauerabschnitte, die dem verlorenen Stück gleichen. René Labhart hat den Fall auf der Website Alt-Steckborn dokumentiert: «Völlig unverständlich, dass die alte Stadtmauer abgebrochen werden konnte. So werden Präzedenzfälle geschaffen», heisst es dort.
Stadtpräsident Roger Forrer bestätigt, dass der Abbruch der Mauer im bewilligten Projekt vorgesehen war. Nun wird der kleine verbliebene Mauerrest nicht mehr angerührt, bis klar ist, was es damit auf sich hat. Denkmalpfleger und Archäologen sind auf dem Platz: «Wir erstellen eine fotografische Dokumentation im Auftrag der kantonalen Denkmalpflege», sagt Archäologin Simone Benguerel. «Die Beurteilung eines Mauerwerks ist heikel», sagt sie und wagt keine Prognose, ob es sich um die alte Stadtmauer oder einen modernen Mauerabschnitt handelt. Zumindest entspricht der Verlauf der abgebrochenen Mauer der historisch überlieferten Stadtmauer.
Typische Baumerkmale etwa aus dem Mittelalter lassen sich laut Benguerel bei einem Mauerwerk imitieren und seien nicht so einfach zu erkennen. Denn Investor Pestalozzi will keine alte Stadtmauer abgebrochen haben: «Der Vorbesitzer sagte, er hätte die Mauer selbst erstellt.» Eineinhalb Jahre hat Pestalozzi unter anderem mit der Denkmalpflege und der Stiftung Ortsbild das jetzige Projekt ausgearbeitet. Auch die Archäologen waren auf dem Platz, denn es stellte sich heraus, dass sich im mittleren Teil des Gebäudeensembles eines der ältesten Häuser Steckborns versteckte, das nur 120 Jahre nach dem Turmhof erbaut wurde. Nun werden diese alten Strukturen freigelegt. «Ich lege sehr viel Wert auf die Geschichte eines Hauses», sagt Pestalozzi.
Für ihn liegt es auf der Hand, dass die abgebrochene Mauer nicht die alte Stadtbefestigung sein kann. Seine Argumentation: Die vermeintliche Stadtmauer stand auf einer modernen Uferschüttung aus dem Jahr 1944. Damals wurde das angrenzende Pumpenhaus gebaut. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass die Stadtmauer damals abgebrochen und wieder aufgebaut oder stark restauriert wurde. Der kantonale Denkmalpfleger war gestern nicht zu erreichen, er liess aber eine eine Stellungnahme in den Tagen in Aussicht stellen.
Wie auch immer: Ohne die Mauer werden die künftigen Bewohner des Erdgeschosses mehr Licht und eine freie Sicht auf den See geniessen.