Stadt – oder doch lieber ein Dorf?

Die einen können es kaum erwarten, eine Stadt zu sein. Die Sehnsucht, zu den Grossen im Kanton zu gehören, kann übermächtig werden und in eine milde Form von Grossmannssucht umschlagen. So geschehen in Romanshorn.

Christian Kamm
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Die einen können es kaum erwarten, eine Stadt zu sein. Die Sehnsucht, zu den Grossen im Kanton zu gehören, kann übermächtig werden und in eine milde Form von Grossmannssucht umschlagen. So geschehen in Romanshorn. Auch als die Gemeinde am Bodensee – statistisch gesehen – noch ein Dorf war, grüsste auf einer Werbetafel am Ortseingang schon die «Stadt am Wasser». Man wollte eine Stadt sein, und nahm es deshalb beim Zählen nicht so genau. Erst Jahre später knackte Romanshorn dann tatsächlich die magische Zahl von 10 000 Seebuben und -meitli.

Die Konkurrenz schlief ebenfalls nicht. Mit Amriswil hatte es eine andere Oberthurgauer Gemeinde dank der gütigen Mithilfe von Eingemeindungen bereits vorher in den exklusiven Club der Thurgauer Städte geschafft. Beim neutralen Beobachter blieb der Eindruck haften: auch das ein sehnsüchtig erwarteter Aufstieg.

Die einen konnten es also kaum erwarten. Eine andere will es um keinen Preis. Im Herzen des Thurgaus weigert sich Weinfelden standhaft, eine Stadt zu sein, obwohl das angebliche Dorf statistisch seit Jahren keines mehr ist. Weshalb ausgerechnet hier die Kirche im Dorf bleiben soll – darüber könnte man lange philosophieren. Womöglich hat es mit dem robusten Selbstvertrauen der Weinfelderinnen und Weinfelder zu tun: Sie brauchen keine Stadt, um sich bedeutend zu fühlen.

Im gutbetuchten Weinfelden gibt es eine lange Tradition, sogar auf die Kantonshauptstadt Frauenfeld hinunter zu schauen. Etwa, weil man der erste Ort mit einer Kunsteisbahn im Kanton gewesen ist. Oder sich als erste Gemeinde bereits in den 70er-Jahren eine 400-Meter-Rundbahn mit Kunststoffbelag leistete. In Frauenfeld rannten zu der Zeit die Leichtathleten noch auf einer staubigen Aschenbahn.

Tempi passati. Wenn man Frauenfeld und Weinfelden heute miteinander vergleicht, wäre Weinfelden wohl gut beraten, sein Selbstbild einer eingehenden Revision zu unterziehen. Und sich nicht kleiner zu machen, als es ohnehin ist.