Novartis unterstützt Forscher

MÜNSTERLINGEN. In Basel lagern historische Informationen zur Zusammenarbeit von Pharmafirmen mit dem Münsterlinger Psychiater Roland Kuhn. Jene Dokumente, die auch Aufschluss über Medikamententests im Thurgau geben können, stellt Novartis nun offiziellen Stellen zur Verfügung.

Inge Staub
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1986 in Basel: Ciba-Geigy und Sandoz auf einen Blick. (Bild: ky/dpa)

1986 in Basel: Ciba-Geigy und Sandoz auf einen Blick. (Bild: ky/dpa)

Nicht nur im Thurgau, auch in Basel werden die Medikamententests des Münsterlinger Psychiaters Roland Kuhn unter die Lupe genommen. Bei Novartis hat ein internes Experten-Team geprüft, inwieweit die Vorgängerunternehmen des Konzerns – Ciba, Geigy, Ciba-Geigy, Sandoz und Wander – mit Roland Kuhn und der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen zusammengearbeitet haben. Untersucht wurde Archivmaterial aus der Zeit zwischen 1950 bis 1985.

Zu den Erkenntnissen dieser Prüfung gibt Novartis keine Auskunft. «Als nächsten Schritt erwarten wir nun die Ergebnisse der Forschungsgruppe unter Leitung des Kantons Thurgau, die den umfangreichen Nachlass von Roland Kuhn im Thurgauer Staatsarchiv sichten wird», teilt Konzernsprecher Satoshi Sugimoto mit. Er betont: «Novartis ist bereit, mit dieser Forschungsgruppe vollumfänglich zusammenzuarbeiten.» Der Konzern sichert Transparenz zu.

Vor zwei Wochen hatte der Thurgauer Regierungsrat bekanntgegeben, dass er die umstrittenen Medikamententests beleuchten lasse, die Roland Kuhn von den 50er- bis in die 70er-Jahre in Münsterlingen durchführte. Dabei wurden nicht zugelassene pharmazeutische Wirkstoffe an Patienten, darunter Kinder, getestet. Der Regierungsrat hat für die Forschungsarbeiten eine Projektgruppe unter Leitung von Staatsarchivar André Salathé eingesetzt. Er wird ein Autorenteam beauftragen und begleiten.

Die Novartis-Experten werden mit diesem Autorenteam kooperieren. Bis dessen Arbeit abgeschlossen ist – was 2018 der Fall sein soll – erhalten andere Interessenten keine Einsicht in die Dokumente von Ciba, Geigy, Ciba-Geigy, Sandoz und Wander. Novartis wolle der Aufarbeitung von offizieller Stelle nicht vorgreifen. «Wir werden die uns vorliegenden historischen Informationen vorerst ausschliesslich den von offizieller Stelle beauftragten Forschungsteams – wie der vom Kanton Thurgau eingesetzten Forschungsgruppe – offenlegen», betont Satoshi Sugimoto. Der Konzern wolle zu den gegenwärtigen breiteren Bemühungen der Schweizer Behörden zur Aufarbeitung des Leids, das Heim- und Pflegekinder erfahren haben, beitragen.

Bereits im Juni 2013 hatte Walter Emmisberger Novartis um Akteneinsicht gebeten. Emmisberger war im Thurgau bei Pflegeeltern aufgewachsen, die ihn nach Münsterlingen brachten. Die dortigen Psychiater verordnete dem damals Elfjährigen das Präparat G 35 59. Hinter diesem Kürzel verbirgt sich Ketotofranil. Dieses Antidepressivum wurde nie auf den Markt gebracht.

Studien zehn Jahre aufbewahrt

Novartis teilte Walter Emmisberger, der noch heute an den Folgen dieser Behandlung leidet, mit, dass die Aufbewahrungsfrist für Zulassungsstudien zehn Jahre betrage. «Trotz intensiver Recherche haben wir in unseren Archiven keine Unterlagen gefunden, die Rückschlüsse zu Ihrer Person zugelassen hätten.» Aus Gründen des Datenschutzes verfüge der Konzern zudem grundsätzlich über keine Patientendossiers. «Deshalb ist es uns nicht möglich, Ihnen die geforderten Unterlagen zur Verfügung zu stellen», gab das Unternehmen einen abschlägigen Bescheid. Dass Novartis über einzelne Patienten Auskunft geben kann, scheint daher unwahrscheinlich. In den Basler Archiven könnte jedoch der Schriftverkehr zwischen den Pharmafirmen und Roland Kuhn sowie die Beschreibungen der Forschungsaufträge zutage kommen. Wie Recherchen unserer Zeitung ergaben, hat Roland Kuhn häufig mit Ciba und Geigy korrespondiert. Kuhn orderte weitere Wirkstoffe oder bedankte sich für Geld, das er erhalten hatte.

Gesuch der J. R. Geigy AG

Die Zusammenarbeit mit der Basler Pharmaindustrie begann 1950, als der Pharmakologe Robert Domenjoz von der J. R. Geigy AG Kuhn beauftragte, Versuche mit einem Antihistaminikum (schwächt den körpereigenen Botenstoff Histamin) zu machen und dieses daraufhin zu prüfen, ob es sich als Schlafmittel anwenden liesse. Nach Angaben von Roland Kuhn folgte später eine Kooperation mit Hugo Bein von der Ciba AG.