Nagelteppich kann Bleifuss-Kosovaren nicht stoppen

Sonntagsgericht

Silvan Meile
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Beim jungen Kosovaren sind alle Sicherungen durchgebrannt. Er drückte aufs Gaspedal, überfährt Kreuzungen bei roter Ampel und biegt schliesslich auf die Autobahn ein. So hängt der damals 22-Jährige in einem Opel Corsa mit zwei unterschiedlichen und gestohlenen Autonummern im Dezember 2015 in der Stadt St. Gallen eine Polizeipatrouille ab. Auf seiner halsbrecherischen Flucht überholt der Gipser mehrfach über den Pannenstreifen, fährt zwischen einem Auto und einem Lastwagen durch und rast auf einen Polizisten zu, der auf dem Pannenstreifen steht, ihn zum Anhalten auffordert. «Was hätten Sie gemacht, wenn der Polizist nicht zur Seite gegangen wäre?», fragte die Richterin am Bezirksgericht Frauenfeld. «Ich kann es nicht sagen», antwortet der Angeklagte. Mit gefesselten Füssen sitzt er vor der Richterin.

Dem Kosovaren werden auf 42 Seiten hauptsächlich grobe Verstösse gegen die Verkehrs­regeln vorgeworfen. Der Fall wird in Frauenfeld verhandelt, weil ihm dort zu Beginn der Anklage ein riskantes Überholmanöver zur Last gelegt wird. Der Mann raste nur wenige Tage vor seiner waghalsigen Flucht mit einem gestohlenen BMW durch mehrere Kantone. Im zürcherischen Waltalingen bretterte er ausserorts mit 178 Kilometern pro Stunde über den Asphalt. In Müllheim betankte er das Fahrzeug, ohne zu bezahlen. Später lenkte er den Wagen mit 100 Kilometern pro Stunde durch eine 50er-Zone in Herisau. «Was bedeutet Ihnen das Autofahren?», fragt die Richterin. «Ich kann dabei vom Alltag fliehen», sagt der Verkehrsrowdy. Rund 30 Polizisten und Grenzwächter waren nötig, um den flüchtenden Raser zu verhaften.

Nachdem der Polizist auf dem Pannenstreifen den Flüchtenden nicht aufhalten konnte, drückte der Kosovare weiter aufs Gas­pedal. In Widnau verliess er die Autobahn, durchbrach zwei Polizeisperren, überfuhr aber mit dem rechten Vorderrad einen ­Nagelgurt der Polizei. Doch auch der platte Reifen hielt ihn nicht auf. Mit funkensprühender Felge fuhr er zurück auf die Autobahn, wie die Anklageschrift festhält. Die wilde Fahrt endete schliesslich in Diepoldsau, wo es den Beamten gelang, den 22-Jährigen festzunehmen. «Ich hatte nie die Absicht, irgendjemanden zu verletzen», sagt er der Richterin. Doch ihm wird vorgeworfen, dass er mehrfach äusserst skrupellos Menschen in Lebensgefahr brachte. Er wiederum macht geltend, sich an viele seiner Vergehen nicht mehr erinnern zu ­können. «Das ist eine reine Schutzbehauptung», sagt der Staatsanwalt. Aus seiner Sicht reiche das nicht, den Angeklagten zu entlasten. Der «verfahrenserprobte Mann» sitze nicht zum ersten Mal vor dem Richter, er ist bekannt für grobe Verstösse im Strassenverkehr und Vermögensdelikte. Dafür verurteilte ihn das Kreisgericht Rheintal bereits einmal zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 14 Monaten. Den Führerausweis musste er schon längst abgeben.

Mehrere Chancen zur Bewährung habe er verpasst, sagt der Staatsanwalt. Besonders krass: Der Mann klaute am zweiten Tag nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft wegen der Verfolgungsfahrt wieder ein Auto, raste wieder durch die Gegend und versuchte bei einem Überholmanöver, ein Auto von der Strasse zu drängen, dessen Fahrer ebenfalls aufs Gaspedal drückte, um ihn nicht vorbeikommen zu lassen. «Der Krug geht zum Brunnen, bis er bricht», sagt der Staatsanwalt. Er fordert eine unbedingte Freiheitsstrafe von 7,5 Jahren. Die Verteidigung plädiert auf 3,5 Jahre.

Das Gericht verhängt eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und acht Monaten. Der Fall geht noch ans St. Galler Migrationsamt. «Ich werde künftig wohl im ­Kosovo leben», sagt der Raser. Dort trifft er auf seinen Bruder. Dieser ist bereits ausgeschafft.

Silvan Meile