Im grössten Thurgauer Strafprozess gegen eine Drogen- und Schlepperbande sind am Montag zwei Zeugen befragt worden. Es ging darum, ob einer der vier Mitangeklagten des Tötungsdelikts an einem IV-Rentner als «Kronzeuge» von der Thurgauer Justiz bevorzugt wurde.
Die Zeugen waren auf Antrag eines Verteidigers vor das Bezirksgericht Kreuzlingen geladen worden. Der Verteidiger vertritt einen von vier Angeklagten, der mitgeholfen haben soll, in einem Weiler bei Kümmertshausen einen IV-Rentner umzubringen. Dem Beschuldigten − einem 53-jährigen Türken − droht eine Freiheitsstrafe von fünfzehneinhalb Jahren. Sein Verteidiger verlangt einen Freispruch, wie er am Montag gegenüber der Nachrichtenagentur sda sagte.
Der IV-Rentner war vor gut sechs Jahren tot in seinem Einfamilienhaus aufgefunden worden. Er war durch einen Freund in Kontakt mit der Drogen- und Menschenschlepperbande gekommen. Laut Anklageschrift liess der Bandenchef den allein lebenden Mann aus dem Weg räumen, weil der IV-Rentner gedroht hatte, die Bande auffliegen zu lassen. Im November 2010 überfielen die Beschuldigten den wehrlosen Mann und erstickten ihn mit der Kapuze einer Jacke.
Von Bundesgericht zurückgepfiffen
Wer beim Überfall auf den Rentner welche Rolle spielte, ist unklar. Umstritten ist insbesondere die Beteiligung eines 38-Jährigen. Der Türke soll die Polizei über die kriminellen Machenschaften der Bande informiert haben. Laut dem Verteidiger eines 53-Jährigen Mitangeklagten wurde der 38-Jährige von Anfang an von der Justiz als «Kronzeuge» bevorzugt.
Tatsächlich hatte das Bundesgericht die Thurgauer Richter zurückgepfiffen, weil sie den Beschuldigten im abgekürzten Verfahren wegen Gehilfenschaft zu vorsätzlicher Tötung und weiterer Delikte zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt hatte. Eine separate Verurteilung käme einer Vorverurteilung der Mitangeklagten gleich, argumentierten die Bundesrichter. Der 38-Jährige steht nun zusammen mit den andern mutmasslichen Bandenmitgliedern vor Gericht.
Die Macht des «Kronzeugen»
Die Anklage basiere hauptsächlich auf den Aussagen des «Kronzeugen», sagte der Verteidiger des 53-Jährigen. Um zu belegen, wie viel Einfluss der angebliche «Kronzeuge» auf die Strafuntersuchung hatte, sagten am Montag zwei Zeugen vor Gericht aus. Die Männer berichteten von einem Gespräch, das sie mit dem «Kronzeugen» wenige Monate nach dessen Haftentlassung vor einem Lokal in St.Gallen geführt hätten. Der 38-Jährige habe gesagt: «Die Freiheit eures Freundes liegt zwischen meinen zwei Lippen.» Im übertragenen Sinn bedeute dies, dass der 53-Jährige sofort aus dem Gefängnis entlassen worden wäre, wenn der «Kronzeuge» den Behörden damals die Wahrheit gesagt hätte.
Der Staatsanwalt relativierte die Aussagen eines der beiden Zeugen, indem er ihn mit dem Protokoll eines abgehörten Handy-Gesprächs konfrontierte. Dabei ging es um ein Päckchen mit «Zucker». «Zucker» stehe für Heroin, welches der Zeuge wahrscheinlich im Auftrag des 53-jährigen in seiner Wohnung aufbewahrt hatte. Der Zeuge bestritt, ein solches Telefongespräch geführt zu haben. «Das ist alles gelogen», sagte der 40-Jährige.
Ob das Gericht das Protokoll des Handy-Gesprächs und weitere Akten als Beweismittel zulassen wird, ist noch offen. Laut dem vorsitzenden Richter wird das Gericht am 15. März öffentlich darüber und über weitere Beweisanträge informieren.
Handschellen abgenommen
Ausser dem Tötungsdelikt wird den vier Hauptangeklagten die Beteiligung an einer kriminellen Organisation vorgeworfen. Zur Bande gehört haben sollen ein irakischer und mehrere türkische Kurden, die als Flüchtlinge in der Schweiz lebten. Der kriminellen Organisation wird vorgeworfen, hunderte Flüchtlinge und kiloweise Heroin nach Europa geschmuggelt zu haben. Zudem soll die Bande illegale Geschäfte mit Erpressungen gemacht haben.
Der mit 14 Angeklagten grösste Prozess in der Geschichte des Kantons Thurgau dauert bis Ende November und findet unter grössten Sicherheitsvorkehrungen statt. Zu Beginn des Prozesses blieben jene Beschuldigten, welche im Gefängnis sitzen, während der Verhandlung an Händen und Füssen gefesselt. Nachdem ein Verteidiger diese Behandlung als unmenschlich kritisiert hatte, lockerte das Gericht die Massnahme und verzichtet seither auf Handschellen. (sda)