Im Thurgau arbeitet die öffentliche Hand und die Industrie am Bauernhof der Zukunft. Die Swiss Future Farm in Tänikon ist im Januar 2018 in ihr erstes Betriebsjahr gestartet. Das Ziel: praktikable Lösungen für die Landwirte finden.
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Die Zukunft der Landwirtschaft liegt an der Bahnlinie Wil–Winterthur. In Tänikon, Gemeinde Aadorf, befindet sich die Swiss Future Farm. Eine Nase voll Stallgeruch der Zukunft gibt Marco Landis dem Besucher. Er sitzt in einem Traktor der Marke Fendt. Ein Joystick, Touchscreen, viele Knöpfe. Man wähnt sich im Cockpit eines Flugzeugs. Landis tippt auf den Bildschirm, drückt ein paar Knöpfe. Der Traktor fährt los. Selbstständig die definierte Strecke entlang, die auf dem Bildschirm zu sehen ist. «Auf zwei Zentimeter genau», sagt Marco Landis. Der Traktor ist mit einem automatischen Lenksystem ausgerüstet. Das eröffnet für die Landwirtschaft im Zusammenspiel mit weiteren Geräten viele Möglichkeiten. Exaktes Mähen, exaktes Sähen, exaktes Hacken. Damit ist ein Teil der Landwirtschaft, wie sie in Zukunft aussehen könnte, skizziert. Eine Landwirtschaft mit digitaler Unterstützen, die genau ist, die ressourcenschonend einsetzt.
Die Swiss Future Farm ist keine Firma, sie ist eine Zweckgemeinschaft aus öffentlichen und privaten Partnern. Eine sogenannte Private-Public-Partnership. Das kantonseigene Bildungs- und Beratungszentrum (BBZ) Arenenberg repräsentiert die öffentliche Hand. Von Seiten der Industrie ist die Agco International GmbH mit von der Partie. Der weltweit drittgrösste Traktoren- und Landmaschinen-Hersteller aus den USA hat seinen europäischen Hauptsitz in Neuhausen SH. Dritter im Bund ist die GVS Agrar AG. Das Unternehmen mit Sitz in Schaffhausen ist führender Importeur von Landmaschinen. Marco Landis, der Mann im Traktor, steht auf der Lohnliste dieses Unternehmens. Er ist einer der drei Kernmitarbeiter der Swiss Future Farm. Alle drei Partnern sind mit je einer Person in diesem Team vertreten. Der Bauernhof der Zukunft ist im Januar 2018 ins erste Betriebsjahr gestartet. Die Vereinbarung für die Zusammenarbeit haben die Partner im Juni 2017 unterzeichnet – für vorerst sechs Jahre.
Beim Melken, beim Ernten, beim Düngen: Bei jeder landwirtschaftlichen Tätigkeiten fallen Daten an. Ein Ziel der Swiss Future Farm ist es, diese Daten zusammenzuführen, Schnittstellen zu schaffen. Christian Eggenberger, Leiter des Versuchsbetriebs Tänikon und Leiter der Beratung, Entwicklung, Innovation am BBZ Arenenberg nennt ein Beispiel, wieso das relevant ist. Die Technik erlaubt es, beim Ausbringen der Gülle die Inhaltsstoffe zu analysieren. «Damit lässt sich sagen, welche Menge jedes Nährstoffes aufs Feld gelangt.» Im Wissen darum können die Emissionen verringert werden. Nicht zu viel, nicht zu wenig. Exakt.
Eggenberger sagt, es gehe darum, die digitalen Hilfsmittel 1:1 auf einem Betrieb einzusetzen. Und das geschieht auf dem Versuchsbetrieb in Tänikon. Die Eckwerte des Betriebes: 81 Hektaren landwirtschaftliche Nutzfläche, 65 Kühe, 55 Schweine. «Aufgrund unserer Erkenntnisse wollen wir den Bauern zeigen, welchen Nutzen die Hilfsmittel bringen», sagt Eggenberger. So soll beispielsweise auch herausgefunden werden, wie im Pflanzenschutzbereich Einsparungen erzielt werden können.
Die Swiss Future Farm sucht nach zukunftsträchtigen Lösungen für alle Bereiche der Landwirtschaft. Vorerst liegt der Fokus aber auf dem Ackerbau. Ein erstes Projekt ist die «Variable Saatstärke». Die Arbeit dafür beginnt im Büro. Am Computer wird eine landwirtschaftliche Fläche in drei Sektoren eingeteilt. Diese Information werden an den Computer auf dem Traktor übermittelt – drahtlos. Die Maschine sät dann auf den vordefinierten Flächen mal mehr, mal weniger Weizenkörner –so viel, wie man ihr befohlen hat. «Damit wollen wir herausfinden, welches die optimale Saatstärke für jeden Boden ist», sagt Marco Landis. Denn: Nicht jeder Boden benötigt gleich viele Körner für den maximalen Ertrag. Bei den einzelnen Projekten wollen die Mitarbeiter der Swiss Future Farm Vergleiche anstellen. Deshalb arbeiten sie auf einer Fläche einmal mit den modernen Hilfsmitteln und einmal mit konventionellen. Damit soll auch die Wirksamkeit der Technik überprüft werden.
Martin Huber ist Direktor des BBZ Arenenberg. Er sagt, dass man Lösungen, die man in Tänikon findet, für die Landwirtschaft greifbar machen wolle. «Für uns ist zentral, dass wir immer wieder neue Erkenntnisse verfügbar machen können.» Diese werden beispielsweise an Workshops mit den zukünftigen Anwendern, den Bauern, diskutiert. Jedes Projekt, das die Swiss Future Farm anpackt, wird aber nicht erfolgreich. «Wir probieren vieles aus, manches müssen wir verwerfen, anderes verfolgen wir weiter», sagt Huber.
In der zukünftigen Landwirtschaft spielen technische Hilfsmittel eine wichtige Rolle. Den Bauern, der mit Herz auf dem Hof Tag für Tag tätig ist, werden sie aber nicht verdrängen. «Gefühle und das Einschätzungsvermögen der Bauern können sie nicht ersetzen», betont Martin Huber. Das Ziel der Swiss Future Farm ist aber klar: Die Zukunft der Landwirtschaft soll nicht nur an der Bahnlinie Wil–Winterthur liegen, sondern auf jedem Bauernhof.