Kaum grosse Namen am 1. August

Die Zeit der gewichtigen Ansprachen zur Bundesfeier scheint vorbei zu sein. Thurgauer Gemeinden engagieren mehrheitlich regionale Politiker für die Festrede. Zu den wenigen nationalen Gästen zählt die Bundespräsidentin.

Inge Staub
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1. August in Schönholzerswilen: Ein Bub schwenkt die Schweizer Fahne. (Bild: Nana do Carmo)

1. August in Schönholzerswilen: Ein Bub schwenkt die Schweizer Fahne. (Bild: Nana do Carmo)

FRAUENFELD. Markus Thalmann, Gemeindeammann von Tägerwilen, spricht Klartext: «Das brauchen wir nicht!» Die Rede ist von bekannten Persönlichkeiten, die die Bundesfeier für die Bevölkerung zu einem Erlebnis werden lassen. Tägerwilen setzt wie viele andere Gemeinden auf Lokalprominenz. Gemeinde- und Kantonsräte halten die Ansprache. Sicher ist es für manches Dorf eine Ehre, wenn es einen Regierungsrat, einen Stände- oder Nationalrat für die Ansprache gewinnen kann. Dennoch fällt auf, dass national bekannte Persönlichkeiten kaum vertreten sind.

Mit Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf (Ottoberg), SVP-Präsident Toni Brunner (Wängi) und Nationalratspräsident Hansjörg Walter (Sirnach) stehen gerade drei nationale Gewichte am Rednerpult. – Wie kommt das? Will sich niemand mehr die Mühe machen, überregional bekannte Personen zu kontaktieren? Oder hat die Bevölkerung das Interesse an politischen Ansprachen verloren?

Erich Baumann, Gemeindeammann von Bürglen, bestätigt, dass «es schwierig ist, eine Persönlichkeit zu finden, die für eine breite Bevölkerung akzeptabel ist». Bürglen hat dieses Dilemma so gelöst: Das Dorf lädt jedes Jahr den Vizepräsidenten des Grossen Rates ein. «So haben wir stets eine politische Ansprache und es kommt jedes Jahr eine andere Partei zum Zug», sagt Baumann. Ein weiterer Vorteil: Die Gemeinde vermeidet, dass die Parteizugehörigkeit des Redners kritisiert wird.

Viele Gäste ohne Stars

Für Markus Thalmann sind Geselligkeit und Zusammenkommen wichtiger als grosse Namen. Die Bundesfeier in Tägerwilen sei auch ohne Stargast gut besucht. Dies führt Thalmann darauf zurück, dass sieben Vereine mitwirken: «Die Vereine sind unser Trumpf.» Zudem sei es für die Bevölkerung spannender zu erfahren, welche Gedanken sich die Kreuzlinger Stadträtin Dorena Raggenbass mache als ein wenig bekannter Nationalrat aus dem Kanton Schwyz. Ein ähnlicher Tenor ist aus Müllheim zu hören. «Wir engagieren für die Festrede Leute aus der Region, die einen Faden zum Volk haben», sagt Gemeinderat Mathias Tschanen. In diesem Jahr spricht CVP-Kantonsrat Stefan Geiges aus Frauenfeld. «Interessant ist, dass Geiges nicht nur Politiker, sondern auch Unternehmer ist», betont Tschanen. Entscheidend für den Erfolg einer 1.-August-Feier hält er den «guten Mix aus Geselligkeit und Tradition».

Auch in Hauptwil-Gottshaus ist mit Henrique Schneider, Ressortleiter Wirtschaftspolitik beim Schweizerischen Gewerbeverband, ein Mann des Gewerbes zu hören. «Wir wollten dieses Jahr keinen Politiker einladen und mal etwas anderes bieten», sagt Gemeindeammann Matthias Gehring. Seiner Meinung sollte es an einer 1.-August-Feier auf jeden Fall eine Ansprache geben. «Das ist Tradition. Die Rede gehört dazu.» Primär gehe es bei der Feier jedoch darum, dass die Bevölkerung zusammenkomme.

Den freien Tag geniessen

Rainer J. Schweizer, Professor für Öffentliches Recht an der HSG St. Gallen, hat den Eindruck, dass die Bevölkerung den 1. August in erster Linie in geselliger Runde feiern will. «Die Leute wollen den Augenblick und den freien Tag geniessen.» Als Trend macht er aus, dass nur noch einem kleinen Teil die «patriotische Reflexion» wichtig ist. Allerdings könne man daraus nicht schliessen, dass die Bürgerinnen und Bürger unpolitisch geworden seien. Politische Fragen hätten nach wie vor einen grossen Stellenwert, jedoch vor allem Fall bezogen.

Einige Gemeinden berücksichtigen das Bedürfnis der Bevölkerung, den freien Tag geniessen zu können. Sie verzichten auf eine Feier am Abend mit Funken und bieten stattdessen am späten Vormittag einen Brunch an. «Unser Brunch kommt gut an. Abends können die Leute dann privat feiern. Das hat sich bewährt», sagt Markus Thalmann. Auch in Romanshorn gibt es um die Mittagszeit einen Imbiss. «So kann der hübsche Raketenhimmel am Abend im eigenen Garten bestaunt werden», schreibt die Gemeinde in der Einladung.

Schon seit einigen Jahren gibt es in Tobel-Tägerschen keine Ansprache mehr. An der Feier nehmen jeweils rund 60 bis 80 Personen teil. Das Interesse hat gegenüber früheren Jahren eher abgenommen. «Ich kann nicht beurteilen, ob dieses grösser wäre, wenn eine Festrede gehalten würde», sagt Gemeindeammann Roland Kuttruff.

Zu beobachten ist: Halten spezielle Gäste die Rede, ist die Bundesfeier gut besucht. Vor vier Jahren sprach Ex-Mister-Schweiz Renzo Blumenthal in Amlikon-Bissegg. Es kamen 350 Besucher, mehr als je zuvor. Als alt Bundesrat Christoph Blocher vor zwei Jahren in Hohentannen am Mikrophon stand, kamen 2000 Personen, 500 mehr als erwartet. Auch Märstetten rechnet damit, dass an der diesjährigen Bundesfeier mehr Leute teilnehmen werden als in den Vorjahren. Dass Eveline Widmer-Schlumpf die 1.-August-Rede halten werde, sei auf grosses Echo gestossen, sagt Gemeindeammann Jürg Schumacher (siehe Kasten).

Eveline Widmer-Schlumpf kommt am 1. August nach Märstetten. (Bild: ky)

Eveline Widmer-Schlumpf kommt am 1. August nach Märstetten. (Bild: ky)