Um den Atomausstieg zu meistern, braucht es Investitionen in Energieeffizienz und erneuerbare Energien. Die nötigen Mittel dafür fehlen heute im Thurgau. Der Regierungsrat stellt darum eine Stromabgabe zur Diskussion.
FRAUENFELD. Ab 2035 soll kein Atomstrom mehr durch Thurgauer Leitungen fliessen. Dieses Ziel gibt sich der Regierungsrat in seinem ergänzenden Bericht zum gestern veröffentlichten Konzept für einen Thurgauer Strommix ohne Kernenergie. Heute stammen noch 75 Prozent des im Thurgau verbrauchten Stroms aus Atomkraftwerken. Der Regierungsrat will den kantonalen Atomausstieg mit einem Massnahmenbündel erreichen, das den Stromverbrauch im Thurgau reduziert und die Stromproduktion erhöht.
Der Gesamtverbrauch soll in einem ersten Schritt bis 2020 von heute 1675 auf 1630 Gigawattstunden sinken. Bisher ist der Stromverbrauch stetig gestiegen. Hierzu schlägt die Regierung verschiedene Massnahmen vor:
• Sparbonus: Wer im Vorjahr mindestens 10 Prozent Strom eingespart hat, soll einen Rabatt auf seine Stromrechnung bekommen. Ein solches Modell funktioniert in Kalifornien. Wie es im Thurgau umgesetzt würde, steht noch nicht fest.
• Stromfresser: Elektrische Widerstandsheizungen und Elektroboiler sollen verschwinden.
• Grossverbraucher: Industrie- und Gewerbebetriebe, die viel Strom verbrauchen, sollen effizientere Anlagen einsetzen. Dazu gibt der Kanton Anreize.
Auf der anderen Seite setzt der Regierungsrat auf den Ausbau der Stromproduktion:
• Erneuerbare Energien: Neue Holzkraftwerke, Biogasanlagen, Geothermie- und Windkraftwerke sowie Solaranlagen im Thurgau sollen bis 2020 70 Gigawattstunden Strom liefern. Investitionen in Kraftwerke ausserhalb des Kantons sollen nochmals 50 Gigawattstunden bringen. • Wärme-Kraft-Koppelung: Viele Gebäude werden noch auf längere Zeit mit Erdöl oder Gas beheizt werden. Diese fossilen Energieträger sollen besser genutzt werden. Wärme-Kraft-Koppelungs-Anlagen heizen und produzieren gleichzeitig Strom. Das soll bis 2020 70 Gigawattstunden Strom geben.
• Zertifikate: Ein Teil des Atomstroms soll übergangsweise mit Zertifikaten «veredelt» werden – so wie es heute schon diverse Gemeinden machen, die sich als «atomstromfrei» bezeichnen. Der Aufpreis fliesst in Energieprojekte. So sollen 80 Gigawattstunden gewonnen werden.
Zusätzlich schlägt der Regierungsrat vor, dass die lokalen EW teureren atomstromfreien Strom als Standard anbieten müssen. Kunden, die das nicht wollen, müssten das dem Werk melden.
Bis 2020 lässt sich laut Regierung so der Atomstromanteil auf 65 Prozent drücken. Gratis ist das nicht zu haben – der vollständige Atomausstieg erst recht nicht. Bis 2035 rechnet der Bericht mit einem Investitionsbedarf von bis zu 1,5 Milliarden Franken.
Angesichts der schlechten Finanzlage will der Regierungsrat Förderbeiträge nicht aus der Staatskasse bezahlen. Er erwägt eine kantonale Stromabgabe von 0,8 Rappen pro Kilowattstunde. Industrie- und Gewerbebetriebe kämen in den Genuss eines reduzierten Satzes ab einer bestimmten Bezugsmenge. Ihnen würde die Abgabe zudem zurückerstattet, wenn sie Massnahmen zur Stromeffizienz umsetzen. «Dort fällt es am meisten ins Gewicht», begründet Volkswirtschaftsdirektor Kaspar Schläpfer. Wegen der Konkurrenz müssten die Betriebe möglichst wenig belastet werden. Für die Privathaushalte sei die Abgabe kaum spürbar.
Die Abgabe soll 8 Millionen Franken im Jahr einbringen. «Wenn man es ernst meint mit der Energiewende, brauchen wir diese Mittel», sagt Schläpfer. Sonst könnte der fehlende Strom durch Importe aus Kohlekraftwerken ersetzt werden.
Der Bericht geht in den Grossen Rat. Findet er gutes Echo, macht sich die Regierung an die Umsetzung. Die nötigen Gesetzesänderungen werden kaum vor 2015 oder 2016 in Kraft sein.