Kanton treibt Prozesskosten ein

Hat ein Mittelloser auf Kosten des Kantons einen Gerichtsprozess geführt, soll er die Unterstützungsgelder zurückgeben, sobald er es kann. Der Grosse Rat will dafür eine Inkassostelle.

Christof Widmer
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Hanspeter Gantenbein konnte die knappste Mehrheit überzeugen. (Bild: Nana do Carmo)

Hanspeter Gantenbein konnte die knappste Mehrheit überzeugen. (Bild: Nana do Carmo)

WEINFELDEN. Das gibt es selten: Gleich viele Kantonsrätinnen und Kantonsräte waren gestern für respektive gegen eine neue Inkassostelle, die Geld wieder eintreibt, mit dem der Kanton Mittellosen den Gang vors Gericht ermöglicht hat. Den Ausschlag gab Ratspräsident Peter Kummer (SVP, Amriswil) per Stichentscheid. Er sprach sich für die parlamentarische Initiative seiner Fraktionskollegen Hanspeter Gantenbein (Wuppenau), Hermann Lei (Frauenfeld) und Urs Martin (Romanshorn) aus.

Damit muss sich nun eine Rats-Kommission mit der neuen Inkassostelle befassen – gegen den Willen der Regierung.

Über eine Million Franken

Unbestritten war die Notwendigkeit, dass der Kanton es Mittellosen ermöglicht, ihre Interessen vor Gericht zu vertreten – und dass sie das Geld zurückzahlen müssen, wenn es ihre wirtschaftliche Situation erlaubt. Der Kanton gibt für die unentgeltliche Rechtspflege immerhin über eine Million Franken im Jahr aus, wie ein Blick ins Budget 2012 zeigt.

«Es geht um ein Zeichen der Gleichbehandlung aller Thurgauerinnen und Thurgauer», sagte Initiant Gantenbein. Wenn sich Mittellose keine Gedanken über die finanziellen Folgen eines von ihnen angestossenen Prozesses machen müssen, gebe es mehr Arbeit für die Gerichte. Auch für wenig aussichtsreiche Prozesse gewährten Gerichte unentgeltliche Prozessführung, widersprach Gantenbein dem Regierungsrat. Die Inkassostelle habe einen präventiven Effekt, sagte auch Max Brunner (SVP, Weinfelden).

Ob jemand einen Prozess unentgeltlich führen kann, entscheiden die Gerichte. Sie entscheiden laut der seit diesem Jahr geltenden Strafprozessordnung auch, ob jemand das Geld zurückzahlen muss. Früher war die kantonale Finanzverwaltung dafür zuständig. Sie stellte aber kaum je solche Forderungen.

Umstritten war, ob das neue System nach nur elf Monaten schon als untauglich bezeichnet werden kann, wie die Initianten meinen. Das könne noch gar nicht beurteilt werden, meinte Christian Koch (SP, Matzingen). Seine Fraktion war gegen die neue Inkassostelle, die sich kaum lohne. Man soll das System überprüfen, wenn man Erfahrungen damit hat, sagte Alex Frei (CVP, Eschlikon), selber Gerichtspräsident.

Heutiges System verbessern

Das heutige System verbessern wollte Kathrin Erni (GP, Wäldi). Der leitende Gerichtsschreiber könnte fest mit den Rückforderungen betraut werden. Regula Streckeisen (EVP, Romanshorn) sagte, das Obergericht und die Justizkommission des Rates sollen prüfen, ob die Gerichte die Rückforderungen richtig vornehmen.

Hans Munz (FDP, Amriswil) unterstützte dagegen die SVP-Initiative. Es sei illusorisch, dass die Bezirksgerichte abklären könnten, ob sich die finanzielle Lage ihrer Kunden verbessert habe, um von ihnen Geld zurückzufordern.