Kampf für und gegen Grenzgänger

In Kontingente für Ausländer müssten die Grenzgänger eingerechnet werden. In der Ostschweiz wollen Vertreter von Wirtschaft und Politik den hier bescheidenen Anteil halten. Möglicherweise baut die Wirtschaft aber selber ab.

Fritz Bichsel
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Im Kanton Genf ist die Rechtspartei Mouvement Citoyens Genevois nach Kampagnen gegen die 65 000 Grenzgänger zweitstärkste Kraft. Auch viele Tessiner sehen die 62 000 Grenzgänger in ihrem Kanton als Problem: verstopfte Strassen, Konkurrenz um Arbeit, Druck auf Löhne. Das trug bei zu 70 Prozent Ja zur SVP-Initiative gegen Masseneinwanderung. Hätten Tessiner durchschnittlich gestimmt, wäre das hauchdünne Ja schweizweit nicht zustande gekommen.

In der Ostschweiz bescheiden

In der Ostschweiz waren zu dieser Initiative die Grenzgänger selten ein Thema. Sie fallen hier auch in den Grenzkantonen gering ins Gewicht: im Kanton St. Gallen gegen 9000 neben gut 110 000 hier wohnenden Ausländern, im Thurgau gegen 5000 neben fast 60 000 anderen Ausländern.

Trotzdem haben die Grenzgängerzahlen eine brisante Wirkung: In den beiden Ostschweizer Grenzkantonen liegt der Ausländeranteil mit 22,9 Prozent leicht unter dem Schweizer Durchschnitt von 23,3. Rechnet man die Grenzgänger hinzu, steigt er im Kanton St. Gallen und im Thurgau aber auf gegen 25 Prozent – und liegt damit über dem Durchschnitt. Das gilt auch für andere Grenzkantone. Entsprechend wollen sie bei der Umsetzung der Initiative höhere Kontingente.

Neu auch Grenzgänger begrenzt

Die Initiative legt fest: «Die Grenzgänger sind einzubeziehen.» Das wurde in der Ostschweiz besonders Wirtschaftsleuten erst nach der Abstimmung bewusst. Denn Befürworter hatten stets von Rückkehr zum früheren System gesprochen. In den Kontingenten für Ausländer vor den Verträgen mit der EU waren die Grenzgänger aber nicht enthalten. Solche konnten Arbeitgeber zusätzlich anstellen, wenn sie nachwiesen, dass sie im Inland niemanden fanden. Jetzt hat der Bundesrat mitgeteilt, wie er gemäss der Initiative die gesamte Ausländerzahl begrenzen will: mit separaten Kontingenten für Einwanderer, Grenzgänger und Kurzaufenthalter, wobei die Kantone ihren Bedarf anmelden können. Beides erhöht die Chancen von Grenzkantonen wie St. Gallen und Thurgau auf einen höheren Anteil dank Grenzgängern.

Der St. Galler Volkswirtschaftsdirektor Beni Würth ist zuversichtlich, dass der Bund zusätzlichen Bedarf der Grenzkantone berücksichtigen wird. Die Kantone können nun zu den Plänen des Bundesrates Stellung nehmen. Sie müssen dabei auch abwägen, ob sie ihre bisherige Grenzgängerzahl verteidigen und dafür Abbau bei Einwanderern in Kauf nehmen wollen. Der Thurgauer Volkswirtschaftsdirektor Kaspar Schläpfer will dazu noch nichts sagen, weil er mit einer Stellungnahme der Vernehmlassung der ganzen Kantonsregierung vorgreifen würde.

«So oder so ein Fiasko»

«Es ist für die Wirtschaft so oder so ein Fiasko», sagt Kurt Weigelt zum Ja zur Initiative und dem sich deswegen abzeichnenden Gerangel um Kontingente für Ausländer. Im Unterschied zu einigen Wirtschaftsverbänden sieht der Direktor der Industrie- und Handelskammer St. Gallen-Appenzell wenig Spielraum: «Aufgrund des Initiativtextes, der nun in der Verfassung steht, muss der Bundesrat den Auftrag mit Kontingenten umsetzen.» Weigelt plädiert dafür, dass die Kantone selber entscheiden können, wie sie ihren Anteil auf niedergelassene Ausländer und Grenzgänger verteilen. «Für die Ostschweiz sollten wir Grenzgänger als Standortvorteil verteidigen. Im Tessin zum Beispiel stellen sich andere Fragen.»

Löst sich Problem von selber?

Inzwischen kam für die Wirtschaft die Aufwertung des Frankens gegenüber dem Euro als weiteres Problem hinzu. Auf diese Verteuerung ihrer Produkte und Dienste reagieren in der Ostschweiz bisher einzelne Betriebe mit Umstellung auf Lohn in Euro für Grenzgänger oder einige mit längerer Arbeitszeit wie jüngst Stadler Rail in Bussnang und Altenrhein. Diese Massnahmen erregen Aufsehen. Ruhiger bleibt es um das, was weit mehr Betriebe machen wegen des Währungsproblems: Sie stellen vorerst keine Leute mehr ein und erwägen Stellenabbau.

Erfahrungsgemäss dienen dabei oft Grenzgänger als Puffer. In den wirtschaftlich schwierigen 1990er-Jahren sank ihre Zahl in der Schweiz um 30 000. Jetzt ist Ähnliches denkbar. Wenn die Wirtschaft erneut bei Grenzgängern stärker abbaut, fällt Gerangel um Kontingente für sie weg.