Der Spitzenkoch Andreas Blattner hat Talent, Ehrgeiz und ein grosses Herz. 2012 pachtete er die «Künstlercantina» in Müllheim. Nun verlässt er Ende Mai das Restaurant und geht einige Monate nach Kanada. Das grosse Engagement habe sich auf die Dauer nicht ausgezahlt.
Herr Blattner, warum verlassen Sie nach dreieinhalb Jahren die «Künstlercantina» in der Stiftung Bildhauerschule Müllheim?
Andreas Blattner: Woche für Woche investiere ich viel Zeit in die Cantina. Zeit, die sich energiemässig und wirtschaftlich auf die Dauer nicht auszahlte. Primär wollte ich meinen Gästen Freude bereiten – und natürlich davon leben! Ich hatte ein gutes Umfeld, das mich unterstützte. Doch der Aufwand war und ist kolossal.
Wie kam es so weit?
Blattner: Nach Jahren der Wanderschaft erfüllte ich mir 2012 hier in Müllheim meinen Traum eines eigenen Restaurants und pachtete die Künstlercantina. Mit viel Freude und Herzblut betreibe ich seither das Restaurant bei der Bildhauerschule. Nun wird es aber Zeit, neue Wege zu gehen. Nach reifen Überlegungen habe ich mich Anfang Jahr entschieden, die Cantina Ende Mai zu verlassen. Wie es danach weitergeht, ist noch offen. Meiner grossen Leidenschaft fürs Kochen bleibe ich treu. Nach Jahren der Selbständigkeit möchte ich wieder mehr Zeit für anderes haben, und Beruf und Privates in beste Balance bringen.
Besteht nicht für den, der stets für das Wohlergehen anderer sorgt, die Gefahr, selbst auf der Strecke zu bleiben?
Blattner: Sicher. Dieses Risiko besteht in der Gastrobranche. Ich habe mir Grenzen auferlegt und nur realistische Ziele gesetzt. Natürlich brauche ich auch die Herausforderung, aber ich überfordere mich nicht.
Sie sind ein mutiger und kompromissloser Mann. Ist Ihr Traum vom eigenen Restaurant und der Selbständigkeit jetzt ausgeträumt?
Blattner: Ausgeträumt würde ich nicht sagen. Mein Traum hat sich mit der «Künstlercantina» in Müllheim erfüllt.
Sie erscheinen hart und anspruchsvoll mit sich selbst. Sind Sie ein Perfektionist?
Blattner: Die Qualität ist mir in der Küche sehr wichtig. Ich bin natürlich nicht in allen Lebensbereichen ein Perfektionist.
In der Schweiz ist die Bedeutung der Gastroführer wie Michelin oder Gault Millau gross. War das nicht frustrierend, dass Sie die Gastrokritiker kaum beachteten?
Blattner: Wir – das heisst ich und mein kleines Team – haben nicht auf Sterne und Punkte hingearbeitet. Unser Ziel war immer, unsere Gäste zu erfreuen. Ihr Lob bedeutete uns mehr als die Leitfäden zum feinen Essen.
Besteht bei viel Erfolg nicht die Gefahr, abzuheben?
Blattner: Nein. Ich bin ein bodenständiger Mensch.
Wie definieren Sie Erfolg?
Blattner: Wenn Gourmets bei uns einen schönen Abend erleben und mein Team gerne zur Arbeit kommt.
«Ob Millionär oder Student, hier sollen alle miteinander ins Gespräch kommen», sagten Sie 2012. Hat das in der «Künstlercantina» geklappt?
Blattner: Ja. Es ist aber immer von der Situation bestimmt. Man muss sich nicht unbedingt miteinander unterhalten, aber unser Konzept hat viele überzeugt und auch begeistert. Die vielen Stammgäste belegen das.
War es für Sie schwierig, gute Regionalprodukte und Produzenten zu finden?
Blattner: Überhaupt nicht. Es gibt im Thurgau sehr gute Produkte und Produzenten. Das Obst beziehe ich von Verwandten, Gemüse, Früchte, Fleisch, Öle und Essig aus der Region. Das Mehl liefert Urs Wahrenberger von der vorzüglichen Mühle Lamperswil und das Biogemüse hole ich bei Renato Horat in Lengwil ab.
Die Markenzeichen Ihrer Küche sind Konzentration und Reduktion. Auf den meisten Tellern finden sich drei Hauptdarsteller – das klassische Prinzip mit drei markanten Geschmäckern?
Blattner: Genau! Ich konzentriere mich auf diese drei Zutaten und versuche dann die drei verschiedenen Versionen in bestmöglicher Kombination zu servieren. Das Reduzierte auf dem Teller gefällt mir. Weniger ist oft mehr!
Sie wollten seit Ihrer Jugend Koch werden. Das Ansehen der Primadonnen am Herd ist heute kolossal. Die Verfeinerung des Lebensgenusses beim Essen und Trinken ist Teil des öffentlichen Gesprächs. Gute Zukunftsaussichten – und nun wollen Sie mit Ihrer Partnerin Kanada bereisen. Und nachher?
Blattner: Danach suche ich in der Schweiz wieder eine neue Anstellung in der Gastronomie. Ich freue mich auf eine neue Herausforderung! Die Arbeit eines Spitzenkochs ist sehr hart, die Angst, den immensen Anforderungen nicht mehr zu genügen auch. Druck und Stress können enorm sein. Das ist eine Realität. Kochen ist ein grosser Stress und man muss wissen, wie damit umzugehen ist. Man muss sich seine Freizeit unbedingt auch nehmen, sonst bleibt man selbst auf der Strecke.
Was sind für Sie die grössten Herausforderungen im Leben?
Blattner: Glücklich im Beruf und im Leben zu sein. Eine neue Stelle mit ausgeglichener Work-Life-Balance zu finden, bei der ich das Privat- und Berufsleben besser miteinander koordinieren kann.