Ihre Welt ist nicht mehr rosarot

BERG. Renata Angehrn ist eine Kämpferin. Viel steckt sie weg. Die Zwangsversteigerung ihres Hauses in Lipperswil hat sie aber an den Rand der Depression gebracht. Heute sagt sie: «Es musste so kommen.»

Ida Sandl
Drucken
Renata Angehrn in ihrem Wohnzimmer in Berg – hinter ihr goldene Engelsflügel über dem grossen Zebra-Sofa. (Bild: Reto Martin)

Renata Angehrn in ihrem Wohnzimmer in Berg – hinter ihr goldene Engelsflügel über dem grossen Zebra-Sofa. (Bild: Reto Martin)

Das Blond ist geblieben, die Haare sind jetzt aber nur noch schulterlang. Renata Angehrn fährt sich mit der Hand durch die Mähne: «Die Extensions sind weg.» Es ist nicht das einzige, wovon sich die Ex-Frau von Boxer Stefan Angehrn getrennt hat. Auf Facebook hat sie die Zahl ihrer Freunde eingedampft, von 5000 auf 4000.

4000! Entschuldigend hebt sie die Arme: «Ich kenne so viele Menschen.» Renata Angehrn hat ein grosses Herz, da haben viele Platz. Vor wenigen Monaten fühlte sie sich trotzdem sehr allein. Sie sass zu Hause, es ging ihr so schlecht wie nie zuvor in ihrem Leben, und niemand rief an. Keine SMS, kein Besuch, kein aufmunterndes Wort. Dabei hätte sie es so dringend gebraucht. «Ich war nahe an einer Depression», sagt Renata Angehrn.

Überall stand, dass Angehrns verschuldet waren und das Haus in Lipperswil zwangsversteigert werde. Sie musste mit den beiden jüngsten Kindern eine neue Wohnung suchen. Die Vermieter waren misstrauisch. «Die hatten alle die Schlagzeilen gelesen.»

Nur einer sagte, das interessiere ihn nicht. Er wollte wissen, ob sie die Miete zahlen könne. Sie sagte Ja und bekam das Haus. Jetzt lebt sie in Berg, mit Blick ins Grüne, und findet es wunderbar. «Es musste so kommen.» Sie habe die Welt nur durch die rosarote Brille gesehen. «Es ist bitter, wenn man das mit 57 Jahren feststellt.»

Ex-Mann war eingeladen

Ihren Geburtstag vor ein paar Tagen hat sie bereits wieder mit 130 Leuten gefeiert. Auch der Ex-Mann war eingeladen. Dass er mit schuld ist am finanziellen Debakel, hat sie ihm verziehen. Er sei ein Traumtänzer. Aber: «Stefan würde nie jemanden absichtlich etwas Böses tun.»

Die Gäste mussten ihre Getränke selber zahlen. Anders hätte sie es sich nicht leisten können. Denn ganz weg sind die Schulden nicht. Doch sie habe die Finanzen im Griff. Heute achte sie darauf, was Geld bringt, wenn sie einen Auftrag für ihre Promi-Agentur «People and more» annimmt. Zusätzlich arbeitet sie drei Abende pro Woche als Geschäftsführerin im Cabaret «Red Lips» in Zürich. Auch wegen der Altersvorsorge. Sie kennt das Metier und den Chef. Dem gehörte früher das Cabaret «Paris Chic» in Braunau. Hier landete die behütete Tochter des Gemeindepräsidenten von Oberembrach nach der Lehre als Drogistin. Da war den Eltern schon klar, dass ihr Kind etwas rebellisch ist. «Mein Rocker-Freund mit 16 war der grössere Schock.»

Kurz war sie Bardame, dann Geschäftsführerin. Der Unterschied zwischen Erotik-Clubs und den anderen Bars sei nicht so gross, meint Renata Angehrn. Sie muss es wissen, denn sie sitzt auch im Management der Lokale von Wirt Sivel Reinhard in Frauenfeld. Wichtig seien klare Regeln. «Die Mädchen tanzen, strippen, flirten, trinken. Punkt.» Renata Angehrn kümmert sich ums Personal und ist Gastgeberin. Sie mag die Tänzerinnen: «Es sind ehrliche Frauen.»

Mitten in der Nacht fährt sie heim. Todmüde und froh, dass sie ihr Bett jetzt für sich allein hat. Renata Angehrn ist überzeugter Single, so wie sie einmal überzeugte Ehefrau war. Halbe Sachen liegen ihr nicht. So war das auch mit Stefan Angehrn. Er kam ins «Paris Chic», sie stand hinter dem Tresen. Nach ein paar Minuten sagte sie zu ihm. «Du bist der Mann, den ich heiraten werde.»

15 Jahre waren sie glücklich. Drei Kinder wurden geboren, einen Sohn brachte sie mit in die Ehe. «Wir hatten keine Zeit für uns.» Damals war der Boxer Angehrn auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Sie hätten Geld scheffeln müssen, liessen sich aber viel zu oft über den Tisch ziehen. «Wir waren blauäugig.»

Die Super-Mama

Die Kinder bedeuten ihr alles, Geld ist ihr nicht wichtig. Kleider, Taschen, Schuhe sagen Renata Angehrn nichts. Einmal hat eine «Goldküsten-Lady» ihr einen Mantel geschenkt. Damit sie ihren alten wegwerfen könne. «Dabei habe ich den so geliebt.»

Die starke Renata Angehrn hat eine Schwäche: Engel-Figuren bevölkern jede freie Ecke in ihrem Haus. Goldene Flügel hängen an den Wänden. Wenn sie nicht weiter wisse, frage sie ihren Engel. Sie denkt kurz nach, zuckt die Schultern: «Vielleicht bildet man sich das nur ein.»