Die beiden vor einem Jahr in Italien verhafteten Mitglieder einer 'Ndrangheta-Zelle im Kanton Thurgau, Antonio N. und Raffaele A., sind in Reggio Calabria gestern zu 14 und 12 Jahren Zuchthaus verurteilt worden.
Der kalabrische Staatsanwalt hat es gestern als erwiesen angesehen, dass sich Antonio N. und Raffaele A. der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, des Drogenhandels, der Erpressung und der Geldwäsche schuldig gemacht haben. Mit seinem Urteil lag das Gericht in Reggio Calabria nur unwesentlich unter dem Antrag des Anklägers: Dieser hatte für die beiden Angeklagten 16, beziehungsweise 14 Jahre Zuchthaus gefordert. Die 'Ndrangheta, betonte der Staatsanwalt in seiner Anklageschrift, habe in der Schweiz «Wurzeln geschlagen»; die Frauenfelder Zelle habe eine «stabile Struktur» aufgebaut. Die Beziehungen zu den Bossen in Süditalien seien weiterhin sehr eng geblieben, und alle strategischen Entscheide seien in Kalabrien gefällt worden.
Die Verteidiger hatten auf Freispruch plädiert. Die Ermittler hätten nicht eine einzige illegale Aktivität der beiden Angeklagten auflisten können, die beweisen würde, dass es in Frauenfeld eine mafiöse Zelle gegeben habe, die der 'Ndrangheta in Kalabrien nützlich gewesen wäre. Weder in den Wohnungen der Angeklagten noch im Boccia-Club in Wängi, wo diese sich mit ihren süditalienischen Clanmitgliedern getroffen hatten, seien bei den Hausdurchsuchungen Drogen oder Waffen gefunden worden. «Es gab auch keine Erpressung, keine Drohung, keine Geldwäsche – die Anklage hatte rein gar nichts», betonte der Anwalt von Raffaele A. gestern gegenüber unserer Zeitung.
Die gestrige Verurteilung der beiden Angeklagten erfolgte in der Tat ausschliesslich wegen «Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung», nicht wegen konkreter Delikte. Die schriftliche Begründung des Urteils wird innerhalb der nächsten 90 Tage vorliegen.
Der Anwalt von Raffaele A. hat das Strafgericht von Reggio Calabria gestern auch darauf hingewiesen, dass der Kassationshof in Rom eine Beschwerde der Verteidigung gegen die Untersuchungshaft der beiden Angeklagten gutgeheissen und die Untersuchungsbehörden angewiesen hatte, «konkrete Beweise» für ihre Vorwürfe vorzulegen.
Das Überwachungsvideo, das die italienische Polizei ins Internet gestellt hatte, sei ein Indiz, aber kein Beweis, befanden die Römer Kassationsrichter. Das Gericht in Reggio Calabria hat nun aber anders entschieden.
Der 66jährige Antonio N., genannt «Ntoni lo Svizzero» oder «il cucchiarune» (der Schwätzer), war laut dem Ankläger der Kopf der Frauenfelder 'Ndrangheta-Zelle; der 71jährige Raffaele A. sei seine «rechte Hand» gewesen. Sie waren im August 2014 in Kalabrien verhaftet worden, während sie eine Hochzeit besuchten. Die beiden Angeklagten hatten jahrelang völlig unauffällig im Kanton Thurgau gelebt; der eine arbeitete als Lastwagenchauffeur, der andere hatte einen kleinen Taxibetrieb aufgebaut. Beide sind verheiratet und haben Kinder. Der diskrete, gutbürgerliche Lebenswandel sei ein typisches Merkmal der Mafia-Ableger im Ausland, betonte der Staatsanwalt.
Die Entdeckung der Frauenfelder 'Ndrangheta-Zelle hatte in der ganzen Schweiz für erhebliches Aufsehen gesorgt. Neben N. und A. gehörten der Gruppe weitere 16 Kalabresen an, gegen welche die italienische Polizei im August 2014 ebenfalls Haftbefehle ausgestellt hatte. Inzwischen laufen Auslieferungsgesuche. Doch für eine Verhaftung in der Schweiz haben die Beweise laut der Bundesanwaltschaft nicht ausgereicht. Die Ermittlungen würden weiterlaufen, hiess es.
Dass sich die Mafia in der Schweiz eingenistet hat, ist für die Behörden nichts Neues – und auch kein Wunder. Sie werde von den Clans «wegen ihrer Wirtschaft und ihres Finanzplatzes, ebenso wegen ihrer Infrastruktur besonders geschätzt», warnte die Bundesanwaltschaft schon vor Jahren. Die Schweiz sei eine «logistische Plattform», wo man Geld waschen könne – nicht nur via Banken und Treuhänder, sondern auch mit Investitionen in Immobilien oder in Gewerbebetriebe. Und sie sei ein Ort, wo man illegalen Handel aufziehen oder Unterschlupf suchen könne. Schon vor 27 Jahren hatte der 1992 von der Cosa Nostra ermordete sizilianische Antimafia-Richter Giovanni Falcone seine Schweizer Amtskollegen gewarnt, dass nach den Mafia-Geldern auch die Mafiosi selber ins Land kämen.