Glücklich trotz Demenz

MÜSNTERLINGEN. 175 Teilnehmer aus der ganzen Deutschschweiz kamen am Donnerstag zur Fortbildungstagung in die Psychiatrische Klinik und beschäftigten sich unter anderem mit dem Autofahren als einer «Leidenschaft» auch von Menschen mit Demenz.

Brigitta Hochuli
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Sind fasziniert vom Humor älterer Menschen und vom Thema Gehirn: Heidi Schänzle-Geiger und Claudia Brüllhardt vor der Memory-Klinik.

Sind fasziniert vom Humor älterer Menschen und vom Thema Gehirn: Heidi Schänzle-Geiger und Claudia Brüllhardt vor der Memory-Klinik.

MÜNSTERLINGEN. 175 Teilnehmer aus der ganzen Deutschschweiz kamen am Donnerstag zur Fortbildungstagung in die Psychiatrische Klinik Münsterlingen und beschäftigten sich unter anderem mit dem Autofahren als einer «unvergessenen Leidenschaft» auch von Menschen mit Demenz. Organisiert worden war die Tagung von den Leiterinnen der Memory Klinik, der Neuropsychologin Heidi Schänzle-Geiger und der Gerontologin Claudia Brüllhardt.

Jährlich 700 Erkrankungen

Die Memory Klinik Münsterlingen in einem lichtdurchfluteten Gebäude direkt am See ist eine von über 30 Memory-Kliniken für Demenzkranke in der Schweiz. «Wir waren die ersten in einem ländlichen Umfeld», sagen Schänzle und Brüllhardt, die von Anfang an dabei waren. Heute ist die Warteliste lang. Jährlich erkranken im Thurgau 700 Personen an Demenz. Ab November werden in Münsterlingen deshalb teilstationär neu viermal wöchentlich je 18 Menschen im Alter von 50 bis 90 Jahren mit leichter bis mittelschwerer Demenz behandelt.

Hierher kommen sie für die Diagnose, die in den überwiegenden Fällen Alzheimer lautet. Für die neurologischen Abklärungen sowie Abbildungen des Gehirns mittels MRI oder CT arbeitet man mit dem Kantonsspital zusammen. Wichtig für die Diagnose seien aber auch die Krankheitsgeschichte und Verhaltenstests. Wie viele Wörter kann sich der Patient noch merken? Wie orientiert er sich in den Räumen der Klinik? Das seien Fragen, die zu einer umfassenden neuropsychologischen Abklärung gehörten, erklärt Heidi Schänzle. Claudia Brüllhardt ihrerseits testet etwa das Alltagsverhalten, indem sie zum Beispiel mit einer Hausfrau ein einfaches Gebäck herstellt. Ganz wichtig bei der Aufnahme der Krankheitsgeschichte seien aber auch die Angehörigen, da sie später in die Therapie mit einbezogen würden.

Sowohl betreffend Ursache als auch Therapie der Demenz erhoffen sich Schänzle und Brüllhardt viel von der Forschung. Zurzeit werde nach Markern im Blut gesucht. Die Forschung sei auch extrem wichtig für die Therapie. «Denn Alzheimer beginnt 15 bis 20 Jahre vor den ersten Symptomen.» Da sich die Zahl der Erkrankungen ohne Forschungsdurchbruch bis 2050 verdoppeln wird, braucht es nach Ansicht von Heidi Schänzle ein politisches Gesamtkonzept für die Finanzierung von Therapien und Entlastung. «Denn den Hauptanteil tragen heute immer noch die Angehörigen.»

Überrascht vom Wohlbefinden

Heidi Schänzle und Claudia Brüllhardt schätzen die Lebenserfahrung und den Humor der älteren Patienten, sind aber auch fasziniert vom Thema Gehirn. «Ältere Menschen haben auch bei Demenz ein grosses lebensgeschichtliches Potenzial», sagt Brüllhardt. Frage man die Patienten selbst, gäben sie an, sich in Münsterlingen wohl und glücklich zu fühlen. «Das hat uns überrascht und gefreut.»

Die beiden Frauen sind stolz auf das Erreichte. Während der Verein der Schweizer Memory Kliniken zurzeit Richtlinien für eine optimale Abklärung und Behandlung erarbeite, «machen wir es bereits heute genau so, wie es sein sollte». Das Besondere an Münsterlingen sei das an Ort bestehende therapeutische Angebot auch für die häufig depressiven Angehörigen sowie die Möglichkeit der stationären Akutbehandlung im gleichen Haus.

Alois und Auguste

Die Memory Klinik Münsterlingen weiss sich auch werbewirksam zu präsentieren. Vor fünf Jahren hatte die Ausstellung «Brain Works» mit einer Auktion ein grosses Echo. 90 Prominente aus Politik, Sport und Showbusiness gestalteten künstlerisch Gehirne aus Gips. Jetzt, zum 10-Jahr-Jubiläum kommt im Frühling im Huber Verlag Frauenfeld das Buch «Geschichten über das Vergessen» heraus. Die Titelgeschichte «Alois und Auguste» stammt von Heidi Schänzle. Die Namen erinnern an Alois Alzheimer und seine erste Patientin Auguste Deter. Im Buch versammelt sind unter anderen Texte von Franz Hohler, Beat Brechbühl, Hanna Johansen, Jürg Amann und Kurt Aeschbacher sowie Zweitdrucke von Martin Suter, Urs Widmer und Gaby Hauptmann.