Charlotte und Edwin Naef können heute die Gnadenhochzeit feiern – 70 Jahre sind das. Das Ehepaar aus Frauenfeld blickt auf ein reichhaltiges Leben zurück. So sind die beiden Enkelkinder bei ihnen aufgewachsen.
FRAUENFELD. Hier gibt's keinen Rollator. Und wer das Ehepaar Charlotte und Edwin Naef – beide über 90 Jahre alt – am Moosweg besucht, hört in der schmucken Wohnung auch kein Wehklagen über Altersbeschwerden und darüber, dass früher alles besser war. Vielmehr trifft man ein fröhliches, lebenslustiges Paar an, das scherzt, sich gegenseitig neckt und vor allem viel zu erzählen weiss. Sie mit fester Stimme, er mit einem feinen Lächeln im Gesicht. Ohne Mühe erhebt sich Charlotte Naef vom Sofa, wenn das Telefon klingelt. Zwischendurch eilt sie in die Küche, kehrt nach kurzer Zeit mit einem Tablett mit Kaffee und Süssigkeiten zurück. Edwin Näf geht noch zu Fuss in die Stadt, eine knappe halbe Stunde brauche er bis zum Marktplatz, erzählt der ehemalige Sportler, der die 100 Meter früher in elf Sekunden schaffte. Beim Erzählen überbieten sie sich gegenseitig, ergänzen, korrigieren sich da und dort.
«Unser Leben verlief wie eine lange Reise, auf welcher es keinen Stillstand gab und immer wieder Neues auftauchte», sagt Charlotte Naef und fügt an, manchmal hätte sie sich mehr Ruhe gewünscht. Sinnigerweise haben sie sich im Zug zur Arbeit kennengelernt. Sie von Affoltern aus, er stieg in Hedingen zu. Für den damals 18-Jährigen war es Liebe auf den ersten Blick. Sie erinnert sich: «Du hattest ein Auge auf mich geworfen, aber ich war damals noch nicht verliebt in dich.» Sie verliebte sich auch noch nicht in den strammen Turner, als dieser ein Turnfest in Affoltern gewann. «Es stand gross in der Zeitung», erinnert sich Edwin Naef nicht ohne Stolz. Sein Pech: Die Angebetete hatte davon gar nichts mitbekommen. Noch ein bisschen leiden musste der Verliebte auf einem Dorffest in Affoltern: Die Angebetete tanzte die ersten Tänze nur mit anderen Burschen aus dem Dorf. Doch so schnell gab der preisgekrönte Sportler nicht auf. Und endlich: «Wir tanzten danach die ganze Nacht zusammen, und da hab ich mich in ihn verliebt», gibt Charlotte Naef zu. Am 13. Mai 1946 wurde Hochzeit gefeiert.
Auf Rosen gebettet war das junge Paar in den ersten Jahren nicht. Es musste mit zehn Franken in der Woche auskommen. Doch der gelernte Schriftsetzer arbeitete sich hoch. Später erwarben sie in Hedingen ein Haus mit grossem Grundstück.
Sie erzählen von glücklichen Jahren. Hat es auch Krisen in der Ehe gegeben? «Nein, eigentlich nicht», sagen die Eheleute wie aus einem Munde. Dann aber erzählt Charlotte Naef, dass sie einmal den Wünsch verspürte, aus dem Alltag auszubrechen, etwas alleine zu unternehmen. Das tat sie auch: Sie buchte einen Flug nach Los Angeles, wo sie ihren Enkel Dominik besuchte. «Eine Woche vor der Abreise packte ich den Koffer. Am nächsten Morgen war er wieder ausgepackt. Das ging die ganze Woche so. Das war er», erzählt sie und zeigt auf den Ehemann, der schmunzelnd neben ihr auf dem Sofa sitzt. «Ich wollte dich schützen. Du hattest Käse und Wurst eingepackt, das einzuführen war nicht erlaubt in Amerika», rechtfertigt er sich. Sie reiste schliesslich doch ab – mit Käse und Wurst.
Durch einen schweren Schicksalsschlag haben die Naefs ein besonderes Verhältnis zu ihren beiden Enkelkindern: Ihre Tochter verstarb sehr früh, die Buben wuchsen bei den Grosseltern auf. «Mit bald 50 Jahren wurden wir nochmals Eltern mit allen Pflichten», blickt Charlotte Naef zurück. «Rafael und Dominik sind zwei anständige Menschen geworden.» Dominik, der heute in Alaska lebt, überraschte seine Grosseltern vergangenes Jahr mit einem Besuch. Ermöglicht hatte dies die SRF-Sendung «Happy Day».