Gärten, Parks und andere Unorte

FRAUENFELD. An seinem Arbeitsplatz hat er im Museumsgarten «gemanagte Natur» vor der Tür. Naturmuseumsdirektor Hannes Geisser mag aber das ungebändigte Grün noch viel lieber – zum Beispiel unter den Brücken an der Murg. Denn mit dem Gärtnern hat er es nicht so recht.

Mathias Frei
Drucken
An seinem liebsten Unort: Hannes Geisser am Murgufer unter der Eisenbahnbrücke. (Bild: Mathias Frei)

An seinem liebsten Unort: Hannes Geisser am Murgufer unter der Eisenbahnbrücke. (Bild: Mathias Frei)

Ein Unort. Hannes Geisser benutzt dieses Wort. «Viele Leute würden dem hier Unort sagen. Ich nicht.» Ein Ort, wo der Mensch nur als Beobachter geduldet ist, wo sich die Natur ein wenig austoben darf und das auch tut. Freies Improvisieren – wie es Geisser auch auf dem Saxophon mit einem Schlagzeuger zusammen in der E-Musikformation Uno per uno macht.

Es ist fast schon seltsam ruhig unter der Autobrücke am Murgplatz, während die Lastwagen darüber donnern. Im sandigen Boden stecken Zigarettenkippen. «Die Natur ist hier extrem dynamisch, ein Hotspot der Biodiversität.» Das gefällt Geisser. Mit den Augen sucht er das gegenüberliegende Murgufer ab. «Als Biologe kann ich diesen Suchfilter nicht mehr ablegen.» Dort auf dem Stein, ist das eine Wasseramsel? – Nein, doch nicht.

Der Frühling beginnt im Januar

Die Brücke am Murgplatz liegt auf Geissers Arbeitsweg. Seit 17 Jahren ist er Direktor des kantonalen Naturmuseums in der Altstadt oben. «Hier könnte ich problemlos zwei Stunden lang ausharren und beobachten», sagt er. Aber auf dem Weg zur Arbeit bleibt natürlich keine Zeit, um unter die Brücke zu steigen.

«Im Januar fängt hier der Frühling an. Dann beginnt die Wasseramsel zu singen.» Die Wasseramsel ist der einzige Singvogel, der tauchen kann. Seit zehn Jahren führt hier Geissers Arbeitsweg durch, seit zehn Jahren sind die Wasseramseln hier. «Maximal zwei Paare, sie sind sehr standorttreu, finden hier offensichtlich Futter und Nistplätze», erklärt Geisser, Doktor der Biologie.

Der Biber als Symbol

Keine hundert Meter weiter die Murg runter liegen die Bahn- und die neue Velobrücke. Geisser pflückt eine Handvoll Brombeeren ab, «aber nur von den oberen», meint er schmunzelnd. Hier hat der Biber vergangenes Jahr zugeschlagen. Heuer hat Geisser gleichenorts noch keine Spuren des «biologisch hochspannenden Tiers» entdeckt. Ein Säuger mit dem Wasser als Lebensraum. Aber in drei, vier Jahren seien die jungen Weiden gewiss wieder ein gefundenes Fressen für den Biber. «Dieses Tier steht symbolhaft für das Unbehagen der Gesellschaft gegenüber der dynamischen Natur.»

Die Bachtobel im Schollenholz oder auch im Mühletöbeli: Das sind die Orte, wo die Natur klar die Oberhand hat. Unwegsam, unbändig. «Da braucht man für zehn Meter manchmal eine Viertelstunde.» Geisser weiss, wovon er spricht. Einmal im Jahr geht er mit einer Jagdgesellschaft auf Treibjagd. Ganz tief unten in den Tobel sitzen die Wildsauen. Über sie hat Geisser seine Doktorarbeit verfasst.

Die Murg muss man entdecken

Geisser mag aber auch das Wasser. Aufgewachsen ist er in Arbon. Als er 1998 die Leitung des Naturmuseums übernahm, war ihm aber nicht bewusst, dass sich durch Frauenfeld ein Fluss schlängelt. Heute, da er schon seit zehn Jahren in Frauenfeld lebt, sagt Geisser, man müsse die schöne Murg entdecken. Denn sie präsentiere sich einem nicht so offensichtlich, wie bei einem Blick auf einen Stadtplan anzunehmen wäre. Von der Murg sind's zu Fuss fünf Minuten in die Altstadt. Dort ist das kantonale Naturmuseum mit dem Museumsgarten im Stadtbild ungleich präsenter.

Zwischen 1994 und 1996 wurde der Museumsgarten angelegt. Auf 300 Quadratmetern bietet er Einblick in die riesige Vielfalt der Kultur- und Nutzpflanzen. «Der Museumsgarten wird für uns je länger, desto wichtiger. Wir haben ihn bewusst als Ausstellungsort definiert. Unter anderem können wir hier einen Bildungsauftrag wahrnehmen.» Natürlich sei der Garten Inbegriff gemanagter Natur, eben Gartenkultur, wie sie etwa in England gepflegt wird. Er selber sei privat zwar erst wieder auf dem Weg zum Gärtner, sagt Geisser. Als kleiner Bub musste Hannes im grossväterlichen Schrebergarten beim Beerenlesen helfen, bei hochsommerlichen Temperaturen und auch in den Ferien. «Damals hat mir das Gärtnern abgelöscht.»

Das Naturmuseum hat kaum Probleme mit ungewollten Ernteaktionen. Der Zaun und die gleichwohl gut einsehbare Anlage tragen das ihrige dazu bei. Nur die offiziell bewilligten, aber THC-armen Hanfpflanzen würden gelegentlich nächtliche Gartenbesucher anlocken. Heuer gibt's jedoch nichts abzugrasen. Denn Max Bottinis Hochbeetbahn-Projekt steht dort.

Es gibt nie genug grüne Oasen

Als Weiterentwicklung des klassischen Schrebergarten findet Geisser Urban-Gardening eine «spannende Bewegung». Sie wecke nicht zuletzt das Bewusstsein für Grünflächen im Siedlungsgebiet. «Grüne Oasen wie den Museumsgarten oder auch den Botanischen kann es in der Stadt sowieso nicht genug geben.» Nicht weniger eine Augenweide ist für ihn die Allee auf der Promenade, die nun noch verlängert worden ist.

Zum Botanischen Garten sind es einige wenige Schritte. «Eigentlich ist das eher ein Botanischer Park», sagt Geisser. Aber trotzdem schön geworden, findet er. 1865 war die 6500 Quadratmeter grosse Anlage als Lehrgarten der Kantonsschule eröffnet worden. Mit der Umnutzung des Konvikts zum Obergericht wurde er vom bekannten Frauenfelder Architekturbüro Staufer & Hasler 2002/03 rundum erneuert. Jetzt ist die Natur gebändigt im lange Zeit vergessenen und verwilderten Garten.

Der Blick durch das schmiedeiserne Tor in den Museumsgarten.

Der Blick durch das schmiedeiserne Tor in den Museumsgarten.

Murgplatz: Auf der Brücke Fussgänger und Autos, darunter die Murg.

Murgplatz: Auf der Brücke Fussgänger und Autos, darunter die Murg.

Im Botanischen Garten: Kunst in Unschärfe.

Im Botanischen Garten: Kunst in Unschärfe.

An der Murg: Der Natur ein paar Brombeeren stibitzen.

An der Murg: Der Natur ein paar Brombeeren stibitzen.

Bild: MATHIAS FREI

Bild: MATHIAS FREI