FRAUENFELD: Ein verhängnisvolles Wochenende

Felder und Strassen in Frauenfeld wurden zu Bächen und Seen an jenem Wochenende im Juni vor 140 Jahren. Der Mühletobelbach und vor allem die Murg richteten in wenigen Tagen grossen Schaden an. Die «grosse Wassersnot» forderte auch ein Todesopfer.

Angelus Hux
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Die Flut von 1876 machte international Schlagzeilen, wie diese zeitgenössische Darstellung in einer deutschen Illustrierten belegt. (Bild: pd/Angelus Hux)

Die Flut von 1876 machte international Schlagzeilen, wie diese zeitgenössische Darstellung in einer deutschen Illustrierten belegt. (Bild: pd/Angelus Hux)

FRAUENFELD. Ruhig fliesst die Murg die meiste Zeit durch Frauenfeld. Man kann sich fast nicht denken, dass dieses Wässerchen zu einer Gefahr, zu einem reissenden Ungeheuer werden kann. Doch jeden Frühling bei der grössten Schneeschmelze, und oft auch mitten im gewitterhaften Hochsommer gibt uns der Fluss eine Kostprobe seiner Macht, wenn er während ein paar Stunden bis an den Rand seines Bettes anschwillt. Ein Schauspiel, das leichte Schauer erregen kann, wenn man sich vorstellt, dass die Niederschläge noch zunehmen werden. Doch meist geht es ja noch gut aus. Die Urgewalt legt sich schon nach Stunden. Und nur noch die umgelegten Gräser und Büsche an den Ufern erinnern an den Ausbruchsversuch des Wildbaches.

Einmal aber ging es gar nicht gut aus. Am Wochenende vom 10. zum 11. Juni 1876 suchte ein heftiges Unwetter Teile des Thurgaus heim. Im Einzugsgebiet der Murg gingen Regenmengen von über 25 Zentimetern nieder. Am Samstagnachmittag gegen vier Uhr entlud sich über dem Unterlauf der Murg zudem ein ausserordentlich heftiges Gewitter, und die Niederschläge dauerten bis in die Nacht an, so dass Felder und Strassen zu Seen und Bächen wurden.

Das Wasser steht an der Brücke

Am Abend überschwemmte zunächst der Mühletobelbach fast das ganze Langdorf und setzte Keller unter Wasser. Aber es kam noch schlimmer. Als die Flutwelle der Murg, gespeist durch alle Zuflüsse im Hinterthurgau, etwas später Frauenfeld erreichte, stieg der Wasserstand bis an die Wölbung der Schlossbrücke an. Unterhalb der Brücke ergossen sich die Fluten mit voller Wucht in die Häuser, rissen den Steg beim Restaurant Murgbrücke – damals das Bierhaus Frey – mit sich und verschlangen die Schleife und Ölmühle von Ludwig Freund (1810 bis 1889). Die Eisenbahnbrücke hielt zunächst stand, doch bohrte sich der Fluss am linken Ufer ein neues Bett und riss ein Stück ein. Die Bahnlinie wurde unterbrochen.

Am schlimmsten wütete das Wasser im Kurzdorf. Es schoss über die enge, 1846 bis 48 erbaute Brücke zur Stadt hinweg und frass sich daneben tief ins Land. Das von der Murg mitgespülte Maschinenhaus der Zwirnerei im Gutschick verfing sich an einem Brückenpfeiler. Das Wasser suchte sich neue Wege und unterspülte das Haus der Eisengiesserei Mutter. Dieses stürzte teilweise in die Fluten, wobei einer der Rettungsmannschaft, der Schriftsetzer Munz, mitgerissen wurde. Man fand seine Leiche erst anderntags.

Granaten schaffen Abhilfe

Um eine noch schlimmere Stauung zu verhindern und das Haus des Architekten Johann Joachim Brenner zu retten, liess der Kommandant der Artillerie-Rekrutenschule zuerst acht, dann zwölf Granatschüsse auf das verfangene Maschinenhaus abfeuern und verbesserte damit den Abfluss. Bis am Montag dauerten die Niederschläge an. «Wo tags zuvor noch üppiges Land gelegen, wälzte sich brausend eine trübe, schlammige, mit Bäumen und Trümmern bedeckte Wassermenge dahin, unwiderstehlich alles mit sich fortreissend, was ihr nicht standzuhalten vermochte», schrieb die in Stuttgart erschienene «Allgemeine Illustrirte Zeitung».

Nie mehr so hoch wie damals

Mehrmals hat die Murg seither die Anrainer belästigt, und erst in den letzten Jahren ist durch Mauern, Dämme und Wälle der Versuch erneuert worden, die Naturgewalt in den Griff zu bekommen. Doch nie wieder stieg der Pegelstand der Murg so hoch an wie damals 1876.

Die Wasserstandsmarke am Kappelerhaus erinnert noch heute daran.

Am Kappelerhaus bei der Schlossbrücke erinnert eine Inschrift an den historischen Wasserstand. (Bild: Donato Caspari)

Am Kappelerhaus bei der Schlossbrücke erinnert eine Inschrift an den historischen Wasserstand. (Bild: Donato Caspari)

Bild: ANGELUS HUX

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