Usama Al Shahmani weiss, was es heisst, ein Fremder zu sein. In Frauenfeld hat sich der ehemalige Flüchtling aus dem Irak ein Zuhause aufgebaut – und ein Buch über seine Erfahrungen mit der neuen Heimat geschrieben.
FRAUENFELD. Er sei ein Buchstabenmensch, sagt Usama Al Shahmani zu Beginn des Gesprächs. Und schnell wird klar: Im Leben des ehemaligen irakischen Flüchtlings dreht sich tatsächlich vieles um Buchstaben. Er ist Sprachwissenschafter, hat arabische Sprache und moderne arabische Literatur studiert. Er schreibt und übersetzt Bücher. In seiner Heimat hat er ein Theaterstück geschrieben und dabei – aus Sicht des Staates – wohl die falschen Buchstaben gewählt, weil er sich gegen das Regime ausgesprochen hatte. Das tief philosophische Werk katapultierte ihn auf die schwarze Liste des Geheimdienstes. So flüchtete er 2002 aus seiner Heimat und kam in die Schweiz.
«Die Fremde – ein seltsamer Lehrmeister», heisst das Buch, das vergangene Woche im Zürcher Limmat-Verlag erschienen ist. Darin geht es um seine Kindheit, das Leben in der Diktatur, einen Teil seiner Flucht und die Ankunft in der Schweiz.
«Das Buch behandelt die Fragen: Was hat die Fremde mit mir gemacht? Und was habe ich mit der Fremde gemacht?», sagt der 45-Jährige und schaut aus dem Fenster. Hier, in der Kantonsbibliothek, ist sein zweites Zuhause in Frauenfeld. Die Leute hier seien sehr hilfsbereit. An diesem Ort hat er fünf literarische Bücher in Arabisch geschrieben und deutsche Bücher in seine Muttersprache übersetzt.
Bei seiner Ankunft in der Schweiz vor 14 Jahren erfuhr Usama Al Shahmani, was es bedeutet, nicht verstanden zu werden. «Ich war überfordert und sehr traurig», sagt er. Man wolle doch akzeptiert werden. «Ich konnte mir damals nicht vorstellen, dass ich mich jemals auf Deutsch werde ausdrücken können.» Er glaubt, dass die Sprache der Schlüssel zur Integration ist. Man sollte den Flüchtlingen ermöglichen, sich hier niederzulassen, Deutsch zu lernen und Aufgaben zu übernehmen. «Zeigt ihnen, dass die Schweiz kein Paradies ist.» Sie sollten erkennen, dass wir hier auch Probleme mit der Arbeit, der Familie oder der Gesundheit haben und manchmal leiden.
Für ihn gebe es weder absolute Fremde noch absolute Heimat. «Manchmal fühle ich mich in den eigenen vier Wänden fremd. Und es kommt vor, dass ich an unbekannten Orten ein Gefühl der Heimat spüre», sagt Usama Al Shahmani. So ist ihm der Kanton Thurgau ein Zuhause geworden. Kaum überschreite er die Grenze, da vermisse er schon die wunderschöne Landschaft.
«Die Thurgauer sind vielfältig, tolerant und Geniesser ihrer Kultur, ihrer Tradition und ihres Essens», sagt Al Shahmani. «Man merkt, dass die Moderne hier durch die Kanäle der Tradition gekommen ist.» Der Iraker lebt mit seiner Frau und den beiden Kindern im Alter von 10 Jahren und 16 Monaten, die in der Schweiz geboren sind, in Frauenfeld. «Wir fühlen uns zugehörig», sagt er und weiss, dass er früher oder später ein Gesuch für die Schweizer Staatsbürgerschaft einreichen wird. «Wir möchten die Möglichkeit haben, wählen zu können – und gewählt zu werden.»
Usama Al Shahmani arbeitet zu 50 Prozent in der Mensa der Pädagogischen Maturitätsschule in Kreuzlingen. Die andere Hälfte arbeitet er als Dolmetscher, Kulturvermittler, Arabischlehrer, freier Journalist und Schriftsteller. Sein Buch hat er mit der deutschen Journalistin und Autorin Bernadette Conrad geschrieben. Die beiden haben sich in einer Lesegruppe in Kreuzlingen kennengelernt. Conrad, deren Familie vor einer Generation auf der Flucht war, konnte ihn für die Idee eines gemeinsamen Buches begeistern. Die zwei Autoren haben ihre Texte getrennt geschrieben, aber das Dialogische nicht verloren. Unterstützt wurde das Projekt von der Thurgauer Kulturstiftung. «Das hat mich sehr motiviert», sagt Al Shahmani.
Es sei schwierig, in der Schweiz Fuss zu fassen. Nicht wegen der Sprache oder der Gesellschaft. «Die Bürokratie ist der Stein auf dem Weg.» So sei es schwierig, akademische Abschlüsse anerkannt zu bekommen. Doch der Iraker ist zufrieden mit seiner Situation. Im April dieses Jahres besuchte er sein Heimatland – und fühlte sich als Fremder. Die Notlage der Iraker macht ihn sehr traurig. «Es ist zum Schreien», sagt Al Shahmani.
«Das Land ist stark vom IS betroffen, der die Welt einfarbig machen will.» Mit grosser Sorge und Ratlosigkeit fragt er sich, wann dieses Problem ein Ende haben wird. «Es ist eine internationale Aufgabe», sagt er. «Wird die Würde irgendeines Menschen verletzt – wo auch immer er sich befindet –, so sind wir alle in unserer Würde verletzt, das ist meine Überzeugung.» Er sei zwar kein Soldat, auch kein Politiker. «Ich kämpfe mit Buchstaben gegen diese Fanatiker.» Er ist eben ein Buchstabenmensch.
Lesung: Donnerstag, 10. November, 19.30 Uhr, Forum Denk- und Handwerk. Sonnenstrasse 2, Weinfelden.