Die richtigen Leute in die richtigen Räte

Am 23. Oktober werden Nationalrat und Ständerat neu zusammengesetzt – für die Ostschweiz ist entscheidend, dass sie mit konstruktiven und konsensfähigen Leuten in Bern vertreten ist. Eine wegweisende Entscheidung, um die sich nur eine Minderheit im Land kümmert. Von Philipp Landmark

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Es sind diese kleinen Nadelstiche, die letztlich jemanden davon abhalten können, aktiv Politik zu machen. Wenn wieder einer am Stammtisch poltert, «die machen ja sowieso, was sie wollen», oder wenn jemand mit den Schultern zuckt und sagt, «auf meine Stimme kommt es ja eh nicht an».

Nicht ohne Nichtgewählte

So denkt in der Schweiz inzwischen eine Mehrheit der Wahlberechtigten. Umso erstaunlicher ist es doch, dass sich allein in der Ostschweiz wieder mehrere hundert engagierte Schweizerinnen und Schweizer als Kandidatinnen und Kandidaten zur Verfügung stellen. Sie investieren Zeit und Geld, ernten wenig Anerkennung, dafür leider zunehmend Häme. Gäbe es die zahllosen Nichtgewählten nicht, würde unsere Demokratie nicht funktionieren.

All jene, die verinnerlicht haben, dass in der Schweiz die Classe politique die Summe der Bürgerinnen und Bürger ist, tragen zum Funktionieren unseres Staates ebenso bei wie die am Schluss gewählten Mandatsträgerinnen und Mandatsträger. In- dem sie kandidieren – oder zumindest von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen.

Politikerinnen und Politiker allerdings müssen heute eine dicke Haut haben – auch, weil sie selber einen derberen Stil pflegen, als dies den schweizerischen Traditionen entspricht. Etwas mehr Action schadet dem geringen Unterhaltungswert der hiesigen Politik sicher nicht – wohl aber der Suche nach tragfähigen gemeinsamen Lösungen.

Die Schweiz hat immer hervorragend funktioniert, wenn es gelungen ist, die wichtigen Kräfte zu bündeln, und weil keine Partei allmächtig wurde. Das war noch einfacher, als die bürgerliche Mitte in beiden Kammern dominierte. Es ist aber absehbar, dass im künftigen Nationalrat erneut SVP und SP die stärksten Parteien sein werden und somit vor allem das Verhinderungspotenzial gestärkt wird. Auf eine dringend notwendige Renaissance der bürgerlichen Mitte wird das Land wohl noch länger warten müssen.

Sachliches Korrektiv der parteipolitischen Konfrontation war bisher der Ständerat; nun droht auch hier die Sachpolitik hinter der Parteiräson zurückstehen zu müssen. Weniger, weil die SVP als grösste Schweizer Partei um eine bessere Vertretung in der kleinen Kammer kämpft. Sondern weil die SVP dort ihre Hardliner installieren will – und selbst gestandene SVP-Ständeräte aus den eigenen Reihen angekeift werden, wenn sie ihre Rolle anders interpretieren, als dies von linientreuen Parteisoldaten erwartet wird.

Zweierlei SVP

Die SVP tritt bei den Ständeratswahlen aus sehr unterschiedlichen Positionen an – auch in der Ostschweiz. Im Thurgau tritt mit Roland Eberle ein ehemaliger Regierungsrat an, ein typischer Vertreter der hier traditionell staatstragenden SVP. Ein konsensorientierter, konstruktiver Macher, der als so gut wie gewählt gilt. Die Frage ist wohl nur, ob er von der heutigen CVP-Nationalrätin Brigitte Häberli oder von FDP-Mann Max Vögeli begleitet wird.

In St. Gallen hat die SVP noch keine lange Tradition: Erst 1995 gelang mit Toni Brunner der Einzug in den Nationalrat. Heute ist die SVP auch in St. Gallen die stärkste Partei, richtig Verantwortung übernehmen durfte oder wollte sie bisher aber nicht. Toni Brunner, inzwischen zum Präsidenten der SVP Schweiz aufgestiegener Star der St. Galler Kantonalpartei, will im Ständerat nicht den Konsens suchen oder allenfalls Ostschweizer Anliegen zum Durchbruch verhelfen: Er will hier die harte Linie der SVP Schweiz vertreten. Damit ist Brunner zwar der falsche Kandidat für den Ständerat. Er ist aber der einzige Vertreter seiner Partei, der reelle Chancen hat, tatsächlich einen Sitz im Stöckli zu erobern. Gewählt ist er noch längst nicht: FDP-Regierungsrätin Karin Keller-Sutter gilt als Favoritin in dieser spannenden Ausmarchung, und den amtierenden CVP-Ständerat Eugen David zu früh abzuschreiben, wäre ein Fehler

Anders präsentiert sich die Situation im Appenzellerland: In Appenzell Innerrhoden wurde CVP-Ständerat Ivo Bischofberger bereits im Amt bestätigt, in Appenzell Ausserrhoden ist die Wiederwahl von FDP-Ständerat Hans Altherr unbestritten. In beiden Halbkantonen haben Regierungsräte gute Chancen auf den jeweils einzigen Nationalratssitz: In Innerrhoden dürfte Landammann Daniel Fässler (CVP) die Wahl klar schaffen, in Ausserrhoden erwächst SVP-Mann Köbi Frei Konkurrenz unter anderem vom früheren Mitarbeiter von Hans-Rudolf Merz, Andrea Caroni (FDP).

Anderes Anforderungsprofil

Während Toni Brunner nach wie vor als Spitzenkandidat auf der Nationalratsliste der SVP St. Gallen kandidiert, wie dies auch die Thurgauer Nationalrätinnen Brigitte Häberli oder Edith Graf-Litscher (SP) und ihre St. Galler Kollegen Paul Rechsteiner (SP) und Yvonne Gilli (Grüne) tun, treten sowohl alt Regierungsrat Roland Eberle als auch Regierungsrätin Karin Keller-Sutter nur für den Ständerat an. Der Thurgauer SVP-Präsident Walter Marty betonte, das Anforderungsprofil für einen Ständerat sei ein anderes als für einen Nationalrat. Auch wenn die St. Galler SVP das wohl nicht so sieht, muss man Marty recht geben. Die Verfassung sieht aus gutem Grunde zwei unterschiedliche Parlamentskammern vor, eine Gleichschaltung in parteipolitischem Sinn widerspricht dem Wesen des eidgenössischen Bundesstaates.