Die Menschen fehlen, die kalten Füsse nicht

Die letzten Tage des Entsorgungshofs

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Stefan Kägi (links) hält ein Schwätzchen mit einem Kunden auf dem Entsorgungshof an der Gaswerkstrasse, der Ende Woche geschlossen wird. (Bild: Reto Martin)

Stefan Kägi (links) hält ein Schwätzchen mit einem Kunden auf dem Entsorgungshof an der Gaswerkstrasse, der Ende Woche geschlossen wird. (Bild: Reto Martin)

Sie stehen Schlange. Um 13 Uhr öffnet Stefan Kägi das Tor zum Werkhof an der Gaswerkstrasse. Sie warten mit ihren Kartonabfällen in den Händen, auf dem Parkplatz stehen ihre Autos, zum Teil mit offenem Kofferraum. Von den Altglascontainern ist das Klirren der Glasflaschen zu hören, die in der Tiefe zerschellen. Daneben werden mit Muskelkraft leere Aluminiumdosen gepresst. Eine ältere Frau legt einen Christbaumständer aus Glas in eine Mulde. Er hat endgültig ausgedient. Ende Woche wird das auch auf den Entsorgungshof an der Gaswerkstrasse zutreffen.

Kägi steht neben der surrenden Kartonpresse und überblickt das bunte Treiben. Immer wieder wird er angesprochen, hält ein kurzes Schwätzchen, während sich die Presse an den Kartonverpackungen der Weihnachtsgeschenke zu schaffen macht. «Der Kontakt zu den Menschen wird mir fehlen», sagt er.

Auch die 40-jährige Nadine Geisser bleibt stehen und bedankt sich für die gute Betreuung. Neben ihr steht ihr Sohn Gianluca. Auf dem Handy der Mutter zeigt er Kägi den Schreibtisch, den er zu Weihnachten bekommen hat. Kurz davor, am 21. Dezember, hat er zudem seinen achten Geburtstag gefeiert. «Am Freitag haben wir die Luftballons abgehängt und dafür den Christbaum aufgestellt», erzählt seine Mutter und lacht. Sie ist wehmütig. Mindestens einmal pro Woche kam sie hierher. «Heute wird wohl das letzte Mal sein.»

Die Sonne scheint Stefan Kägi ins Gesicht. «Herrlich», sagt er mehr zu sich selber. Er trägt eine Mütze, Arbeitshandschuhe und das klassische orange Übergwändli. «Die kalten Füsse werde ich nicht vermissen.» Die langen Nachmittage seien zäh gewesen. Fünf Stunden stand er draussen – bei jedem Wetter. Dann zu arbeiten, wenn andere frei haben, daran hat sich Kägi gewöhnt. «Ich stand ja jeden Samstag auf dem Platz.» Auch im neuen Jahr wird er weiterhin für den Werkhof arbeiten. Allerdings übernimmt er andere Arbeiten. Dann werde er die Wochenenden geniessen. «Und auch mal die Brücke machen.»

Ein grosser, schlanker Mann ruft Kägi von den grossen Fässern mit den Speiseölen her zu, ob er die leeren PET-Flaschen dort liegen lassen könne. Kägi nickt. Er wird sich ihrer später annehmen. Über die Festtage gab es bei Fabio Romano Pommes frites. «Das hat die Kinder gefreut», sagt er. Der 33-Jährige lebt mit seiner Familie in Münchwilen. Den Besuch bei seinen Eltern in Frauenfeld hat er mit dem Entsorgen verbunden. Auch Styropor und Karton lässt er hier. Dass es den Entsorgungshof an der Gaswerkstrasse bald nicht mehr geben wird, hat er nicht gewusst. «Schade», sagt er, und: «Gut zu wissen.»

«Der Berg wächst unerbittlich», sagt Kägi. Er zeigt auf den Stapel Kehrichtsäcke draussen vor dem Tor neben der entsprechenden Einwurfstelle. Der unterirdische Container ist voll. «Dabei wurde er erst am Freitag geleert.» Gestaunt habe er auch, als bereits am 20. Dezember die ersten leeren Schoggi-Adventskalender bei ihnen gelandet seien. «Offensichtlich konnten die Kinder nicht mehr warten», sagt er und schmunzelt.

Seine eigenen Abfälle hat Kägi stets an der Gaswerkstrasse entsorgt. Den Karton hat er manchmal zur Arbeit mitgebracht. In Zukunft wird auch er im Regionalen Annahmezentrum anzutreffen sein. «Es wird seltsam, auswärts zu entsorgen», sagt er. Er wirft einen Blick in den Abfalleimer und seufzt. Jemand hat seine Nespressokapseln in den falschen Behälter geworfen. «Wenn man einmal nicht aufpasst.» Das Nachsortieren habe teilweise viel Zeit und Nerven gekostet. «Ganze Nachmittage habe ich so verbracht.» Auch das gehört bald der Vergangenheit an.

Auf dem Parkplatz herrscht ein reges Kommen und Gehen. Ein kleiner Bub läuft mit Anlauf auf die Kartonpresse zu und wirft die Verpackung seines Weihnachtsgeschenks hinein – einer grossen Plastikpistole. «Heute geht es gesittet zu und her», sagt Stefan Kägi. Er hat in den vergangenen Jahren schon ganz anderes erlebt.

Rahel Haag

rahel.haag@thurgauerzeitung.ch