Eine Landesausstellung sei nicht mehr zeitgerecht, sagen die Gegner. Vielleicht aber wird die Expo im Jahr 2027 so nötig sein wie nie zuvor. Redaktionelle Stellungnahme zur Volksabstimmung vom 5. Juni 2016 über den Projektkredit für eine Expo 2027 Bodensee-Ostschweiz. Von David Angst
Landesausstellungen sind eine Schweizer Eigenart – wie die Viersprachigkeit, der Kantönligeist und die einzigartig ausgeprägte direkte Demokratie. Es gibt kaum ein anderes Land, das sich selber alle 20 bis 30 Jahre zur Schau stellt.
In den Jahren 1883, 1896, 1914, 1939, 1964 und 2002 fanden Landesausstellungen statt. Jede von ihnen hatte ihren eigenen Charakter und Zeitgeist. Die Frage ist nun, ob diese Tradition fortgesetzt werden soll. Ob eine Expo überhaupt noch notwendig ist. Und falls ja, ob die Ostschweiz dafür der richtige Standort wäre.
Diese Grundsatzfragen müssen die Stimmberechtigten des Kantons Thurgau – wie auch jene im Kanton St. Gallen – am 5. Juni beantworten. Die beiden Kantone wollen zusammen mit Appenzell Ausserrhoden für 9,5 Millionen Franken eine Machbarkeitsstudie in Auftrag geben. Der Kanton Thurgau soll dazu 3 Millionen Franken beisteuern, St. Gallen 5 Millionen und Ausserrhoden 800 000 Franken. 700 000 Franken sollen durch Dritte finanziert werden.
Obwohl der Regierungsrat und der Grosse Rat die 3 Millionen in eigener Kompetenz hätten bewilligen können, beschlossen sie, den Kredit dem Volk zu unterbreiten. Dieser Entscheid war richtig. Denn es gibt der Kantonsregierung die Chance, die Idee einer Expo schon früh politisch zu legitimieren.
Dass es auch Gegner gibt, ist klar. Sie haben ihre Argumente vor 10 Tagen an einer Medienkonferenz und am vergangenen Mittwoch am Podium der Thurgauer Zeitung dargelegt. Sie argumentieren vor allem damit, dass die Expo zu teuer oder wegen der fehlenden Verkehrsinfrastruktur nicht realisierbar sei. Genau diese Fragen können aber erst beantwortet werden, wenn die Machbarkeitsstudie fertig ist.
Ein anderes Argument der Gegner, die Landesausstellung sei keine Staatsaufgabe, sie müsste von Privaten finanziert werden, zeigt eine eher kleinliche Einstellung darüber, was der Staat soll und was nicht. Die Landesausstellungen gehören seit über 130 Jahren zur Geschichte und Identität der Schweiz, und immer hat die öffentliche Hand finanzielle Beiträge geleistet.
Vielleicht ist eine schweizerische Landesausstellung nötiger denn je, obwohl die Situation heute eine ganz andere ist als beispielweise 1939. Die Welt ist offen, die Grenzen spielen im gesellschaftlichen Alltag nicht mehr die gleiche Rolle wie früher. Menschen, Waren, Informationen und Dienstleistungen überwinden ohne Probleme grosse Distanzen. Unternehmen sind global tätig und international organisiert. Industriebetriebe haben ihre Filialen in Polen oder Indien. Die Studentin macht ihren Sprachaufenthalt längst nicht mehr in Lausanne, sondern in Sidney. Mit anderen Worten: Die Gelegenheiten, Kontakte unter Miteidgenossen zu pflegen, reduzieren sich zunehmend auf die politischen Institutionen.
Und deshalb sollten wir uns gelegentlich wieder einmal die Frage stellen: «Was hält uns noch zusammen?» Es könnte ein Ziel dieser Expo sein, diese Frage zu beantworten. Es kommt nicht von ungefähr, dass drei Fragen im Siegerkonzept «Expedition27» eine zentrale Rolle spielen, nämlich: Woher kommen wir? Wer sind wir? Wo wollen wir hin?
Eine Expo könnte darüber hinaus eine Gelegenheit für die Menschen aus den verschiedensten Landesteilen sein, sich an einem Ort zu begegnen – sie könnte ein Fest der Begegnung werden.
Und wer soll dieses Fest organisieren, wenn nicht die Ostschweiz? Klar, es gibt auch noch andere Regionen, welche noch nie eine Landesausstellung hatten. Die Region Basel, die Innerschweiz, Graubünden und das Tessin. Aber anstatt zu jammern, die Schweiz höre in Winterthur auf und die Ostschweiz werde ständig vergessen, ist dies eine grossartige Chance, für einmal die Initiative zu ergreifen, voranzugehen und der Schweiz zu zeigen, was wir können.
Natürlich dient ein solcher Anlass auch dem Standortmarketing und der Tourismusförderung. Die Gegner sagen zwar, der Marketingeffekt rechtfertige den Aufwand bei weitem nicht. Wie gross dieser Nutzen wäre, lässt sich tatsächlich nicht hieb- und stichfest belegen. Es besteht aber realistische Hoffnung, dass eine beträchtliche Zahl von Landsleuten die Ostschweiz besuchen würde, die ohne Expo nie kämen. Zur Verdeutlichung: Die Expo 2002 zählte 10 Millionen Eintritte. Und es war kein Kulturschaffender, sondern der Präsident des Gewerbeverbandes von Biel, Urs Grob, der fünf Jahre nach der Expo 2002 sagte: «Die Landesausstellung hat der Stadt Biel neues Leben eingehaucht.»
Es geht aber am Ende vielleicht gar nicht in erster Linie darum, wie viel die St. Galler, Appenzeller und Thurgauer profitieren. Es geht darum, als gute Gastgeber aufzutreten und die Schweiz zu bewirten. Wenn die Ostschweiz das gut macht, dann kommt garantiert etwas zurück.
Ob die Expo 2027 machbar ist und wie viel sie Bund und Kantone kosten würde, darüber werden wir in drei Jahren mehr wissen, wenn die Machbarkeitsstudie vorliegt. Dann könnten wir das Projekt notfalls immer noch stoppen. In diesem Fall hätte der Kanton Thurgau drei Millionen Franken in den Sand gesetzt. Das ist relativ wenig Geld angesichts der Chance, die wir vergeben, wenn wir jetzt diese Investition ablehnen. Deshalb empfiehlt es sich, zum Expo-Kredit Ja zu sagen.
david.angst@thurgauerzeitung.ch