Der Schwarze Tod wütet im Thurgau

Genau 400 Jahre ist es her, da raffte die Pest innerhalb von acht Monaten die Hälfte der Menschen im Thurgau dahin. Häuser standen leer, Kinder irrten ohne Eltern umher und die Luft schien mit Gift geschwängert. Die Ärzte waren machtlos. Ein Rückblick von Ida Sandl

Drucken

Schwitzen, Blut abzapfen und purgieren, was so viel heisst wie reinigen: Sehr viel mehr fiel dem gelehrten Dr. Schleher aus Konstanz nicht ein, um Menschen zu kurieren, die an der Pest erkrankt waren. Gegen die Seuche war die Heilkunst machtlos.

Seit Mitte des 14. Jahrhunderts suchte die Pest regelmässig die Länder Europas heim. Doch den Thurgau traf sie im Jahr 1611 so heftig wie nie zuvor. In nur acht Monaten – von der Heuernte bis Neujahr – raffte der Schwarze Tod mehr als 33 000 Menschen dahin, das war die Hälfte der Einwohner. Danach waren Dörfer wie ausgestorben. Von den 340 Einwohnern von Matzingen überlebten nur 30, schreibt Johann Adam Pupikofer, Thurgauer Pfarrer und Historiker.

Kinder bettelten

Aus den Häusern kam kein Laut. Felder wurden nicht mehr bestellt und die Trauben verdorrten an den Weinstöcken. Kinder irrten umher, elternlos geworden, und bettelten Verwandte an, sie möchten ihnen die Tür öffnen. Doch sie wurden weggeschickt, aus Furcht, dass sie schon den Todeskeim in sich trügen und alle im Hause ansteckten.

Und wer es nicht übers Herz brachte, ein solch verlassenes Geschöpf abzuweisen, und es bei sich aufnahm, wurde von den Nachbarn und selbst von den Angehörigen gemieden, so gross war die Angst vor der Ansteckung.

In dieser düsteren Zeit wandte sich der Stadtrat von Konstanz an den angesehenen Arzt Dr. Schleher und bat ihn, eine Schrift zu verfassen. Darin sollte stehen, «wie von der um uns herum und andern Orten eingerissenen Pestilenz Gesunde zu verwahren und Kranke zu kurieren seien». Wie seinen Kollegen fehlte aber auch dem guten Dr. Schleher ein wirksames Rezept gegen die todbringende Krankheit. Die Arznei, die er empfahl, war ein Gemisch aus Kräutern, die gegen die mächtige Pest nichts auszurichten vermochten.

Totengräber kamen kaum nach

Einmal mussten in der Stadt Frauenfeld 23 Menschen auf einmal beerdigt werden. An ein würdiges Begräbnis war da nicht mehr zu denken. Die grösste Sorge der Lebenden war, wie sie die Leichname möglichst schnell loswerden. Wie der Müller die Kornsäcke auflud, so fuhren die Totengräber mit den Leichenwagen täglich durch die Strassen, um die Toten einzusammeln.

Oft wurden sie ohne Sarg, halb nackt oder nur in ein paar jämmerliche Lumpen gehüllt auf den Wagen geladen und zur Kirche gefahren. Niemand begleitete sie auf ihrem letzten Weg, keine Glocke läutete, kein Redner lobte die Verdienste der Verstorbenen. Die Leiber wurden einfach auf dem Friedhof in eilig ausgehobene Gruben geworfen, ohne darauf zu schauen, ob Mann oder Frau, ob Greis oder Kind.

Ungelöschter Kalk wurde über die Leichen geschüttet, «damit in schneller Verwesung mit ihnen auch das Pestgift ersticke, das ihnen das Leben geraubt», schildert Pupikofer.

Niederknien und beten

Schultheiss und Rat der Stadt Frauenfeld schrieben vor, dass morgens, mittags und abends jeder niederknien und beten solle, «was ihm Gott ermahne». Leute, die erkrankt waren und wieder gesund wurden, sollten noch vier Wochen lang die Gesellschaft anderer meiden. «Weder mit ihnen wandeln, noch sie zum Stillstehen nöthigen oder ihnen nachgehen.» Stattdessen sollten sie in den eigenen vier Wänden verharren, selbst die Metzgerei oder den Bäckerladen nicht betreten, sondern sich ihre Einkäufe nur durchs Fenster reichen lassen. Auch die Barbiere und Scherer, welche die Kranken versorgten, durften nicht in die Wirtshäuser oder sich bei öffentlichen Zechen neben Gesunde setzen.

In der Chronik des Klosters von Tänikon ist von einem Gelübde die Rede. Falls die Pest sie verschone, würden sie ein Kind aufnehmen, das seine Eltern durch die Krankheit verloren hatte, versprachen die Nonnen. Tatsächlich machte die Pest vor den Klostermauern halt. Die Schwestern nahmen deshalb ein Waisenmädchen aus Aadorf auf.

Da das Kind «eine wunderliebliche Stimme» besass, liess man es zur Kantorin ausbilden. Als das Mädchen grösser wurde, wollte es aber nicht im Kloster bleiben, sondern verliebte sich in einen Mann. Die Ehe brachte ihm aber kein Glück: Es heiratete einen armen Schlucker und musste sein Leben lang betteln gehen. Die Nonnen sahen darin die verdiente Strafe Gottes. So steht es in der Aadorfer Geschichte von Albert Knöpfli.

Warum der Schwarze Tod die Menschen im Thurgau auf so grausame Weise heimsuchte, kann nur vermutet werden.

In den Jahren vor der Pest habe das Wetter verrückt gespielt, erklärt der Historiker Pupikofer. Die Temperaturen seien nach oben geschnellt, um kurz darauf wieder tief zu fallen – ein ideales Klima für die Raupen, diese hätten sich so rasant vermehrt, dass sie im Jahr vor Ausbruch der Pest sämtliche Blüten der Obstbäume vernichtet hätten. Pupikofer vermutet, dass sich auch bei den Menschen eine besondere Anfälligkeit für Krankheiten bildete.

Zuerst kamen die Missernten

Ernest Menolfi schreibt in der Geschichte von Bürglen, dem Pestzug sei eine Reihe von Missernten vorausgegangen. Die Menschen seien unterernährt und geschwächt gewesen, leichte Beute für die heimtückische Krankheit.

Das Leiden begann mit heftigem Kopfschmerz, Hitzewallungen, Augenentzündungen, Krämpfe und Durchfall folgten. Die Augen der Opfer waren blutunterlaufen, Gesicht und Körper voller Bläschen und Geschwüre. Ein grauenvoller Durst muss sie gequält haben, gegen den auch Trinken nichts half. Schlaflosigkeit, Schmerzen und innere Hitze zermürbten die Kranken.

Zu jener Zeit zweifelte niemand daran, dass die Pest durch Berührung, durch infizierte Kleider oder Waren übertragen wurde.

Menschen oder Güter, die von auswärts kamen, wurden zuerst mit Kräutergemischen beräuchert, bevor man sich ihnen näherte.

Die Luft war voller Gift

Pupikofer berichtet aber auch von Menschen, die an der Pest starben, obwohl bei ihnen keine Ansteckung nachgewiesen werden konnte. Was ihn zum Schluss verleitet: «Das Lebenselement selbst, die Luft, schien mit Gift geschwängert.» Davon waren die Menschen damals überzeugt. Wer sich nicht anstecken wollte, trug eine Pestmaske, eine Art Vogelschnabel, der mit einem Kräutergemisch gefüllt war und die Luft reinigen sollte.

Das Leben kehrt zurück

Dann war das Jahr 1611 zu Ende, und mit ihm verschwand die Pest. Der Frühling kam und die Luft wurde wieder rein. In den Häusern, in denen vor kurzem noch Menschen dahinsiechten, siedelte sich junges Volk an, knapp dem Tod entronnen und voller Lebenslust.

Kinder wurden geboren, und das Land füllte sich verblüffend rasch wieder mit Menschen. Das Leben hatte über den Tod gesiegt.

Quellen: • Johann Adam Pupikofer: «Geschichte der Stadt Frauenfeld», 1871 • Johann Adam Pupikofer: «Geschichte des Thurgaus», 2. Band, 1889 • Albert Knöpfli: «Geschichte von Aadorf», 1986 • Ernest Menolfi: «Bürglen, Geschichte eines thurgauischen Dorfes», 1996 • Damals. Das Magazin für Geschichte: «Die Pest – Geissel der Menschheit», 7/2011