«Das ist erst der Anfang»

Die neue S-Bahn St. Gallen muss sich heute Montag erstmals im Pendlerverkehr behaupten. Ernst Boos, Thurbo, und Heinrich Güttinger, Südostbahn, über Chancen, Risiken und ein Wachstumspotenzial, das abzuschöpfen wäre.

Christoph Zweili/David Scarano
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Die S8 Nesslau–Schaffhausen des Thurbo und die S4 (Ringzug) der Südostbahn kreuzen sich im Bahnhof Degersheim. (Bild: Urs Bucher)

Die S8 Nesslau–Schaffhausen des Thurbo und die S4 (Ringzug) der Südostbahn kreuzen sich im Bahnhof Degersheim. (Bild: Urs Bucher)

Die neue S-Bahn St. Gallen ist gestern gestartet – auf welcher Strecke waren Sie unterwegs?

Ernst Boos: Ich bin zu Hause geblieben, doch ich stand mit Mitarbeitern, die vor Ort waren, im ständigen Kontakt. Über diese habe ich den Fahrplanwechsel genaustens verfolgt.

Heinrich Güttinger: Mit dem Ringzug S4 bin ich einmal um den Säntis gefahren – ein einmaliges Erlebnis.

Wie haben die Zugspassagiere auf das neue Rollmaterial reagiert?

Güttinger: Sehr gut. In St. Gallen habe ich beispielsweise Wintersportler gesehen, die mit dem Zug direkt nach Unterterzen ins Skigebiet fuhren. Sie waren begeistert.

Boos: Das Rollmaterial hatten wir drei Bahnunternehmen zum Teil schon vorher eingeführt. Wir erhielten bislang nur positive Rückmeldungen.

Wie hat der Fahrplanwechsel geklappt?

Boos: Er verlief grundsätzlich reibungslos. In Einzelfällen kam es in St. Gallen zu kleineren Verspätungen, die aber keinen Einfluss hatten. Bei den Zugbeschriftungen müssen wir kleinere Fehler beheben.

Güttinger: Wir hatten keinerlei Probleme. Die wenigen Verspätungen beliefen sich auf weniger als eine Minute. Die Anschlüsse klappten reibungslos.

Der Fahrplanwechsel wird im nahen Ausland, stark verbunden mit dem St. Galler Rheintal, mit grossem Interesse verfolgt: Wie profitieren die Pendler heute morgen?

Güttinger: Die Berufspendler profitieren durch mehr Takt, mehr Anschlüsse und mehr Komfort. In Sargans wurden die Anschlüsse optimiert. Es gibt bessere Verbindungen mit der Bahn Buchs–Feldkirch und mit dem Bus Sevelen–Vaduz.

Boos: Insgesamt ist das System der neuen S-Bahn an den Grenzen im Rheintal besser verknüpft. Insbesondere Richtung Bregenz ergibt sich am Morgen in der Hauptverkehrszeit und ab Mittag integral ein Halbstundentakt. Leider muss man immer umsteigen. Daran arbeiten wir aber.

Heute Montag wird sich entscheiden, wie die Pendler auf die veränderten Abfahrtszeiten reagieren: Der Rheintalexpress etwa verkehrt zeitlich deutlich versetzt. Im schlimmsten Fall ist die S-Bahn überfüllt und der REX halb leer.

Güttinger: In den vergangenen Tagen wurden Flyer und Gummibärli an die Pendlerinnen und Pendler verteilt. Hierfür wurden Korridore mit den grössten Fahrplanwechseln ausgewählt: Das Rheintal bis Chur und die Strecke Wattwil–Nesslau.

Boos: Das ist tatsächlich das grösste Risiko der S-Bahn St. Gallen. Für den heutigen Montag bin ich mir ziemlich sicher, dass das zutreffen wird. Wir werden die Lage aber über eine gewisse Zeit verfolgen müssen und dann entscheiden.

Die SBB versprechen sich von der flächenmässig grössten S-Bahn der Schweiz 15 Prozent mehr Passagiere in den nächsten zwei Jahren. Im Rheintal wird das Zugsangebot teilweise nahezu verdoppelt: Heute pendeln hier aber noch 79 Prozent mit dem Auto und nur elf Prozent mit dem öffentlichen Verkehr zur Arbeit.

Boos: Es ist eines der Ziele, dieses Potenzial mit dem besseren Angebot zusätzlich abzuschöpfen. Allerdings gibt es auch im Rheintal Abschnitte, die weniger profitieren. Das bringt ein systematisches Konzept mit sich.

Gibt es andere Regionen mit ähnlichem Wachstumspotenzial?

Güttinger: Wir gehen davon aus, dass ein Wachstumspotenzial für alle Regionen besteht. Im Linthgebiet etwa ist ein starkes Bevölkerungswachstum festzustellen.

Boos: Der Start ist ein Anfang. Die neue S-Bahn St. Gallen legt mit ihrer konsequenten Systematik das Fundament für die weitere Entwicklung des öffentlichen Verkehrs und damit der Regionen. Die Schaffung des Vollknotens St. Gallen Ende 2015 wird einen weiteren Entwicklungssprung auslösen.

Liechtenstein, Vorarlberg und Glarus gehören mit dem Fahrplanwechsel neu zum Tarifgebiet Ostwind: Können damit ab sofort in St. Gallen grenzüberschreitende Billette nach Bregenz(–Lindau) und Vaduz gelöst werden?

Boos: Im grenzüberschreitenden Verkehr gilt der «Ostwind». Es gibt also Billette von St. Gallen nach Vaduz und auch nach Bregenz. Mit Vorarlberg ist eine Tarifzusammenarbeit vereinbart. Sie ist noch eingeschränkt – das direkte Lösen von Billetten geht auf der «Ostwind»-Seite also (noch) nicht für das gesamte Tarifgebiet.

Im Namen der neuen S-Bahn dominiert die Gallusstadt, bedient werden aber insgesamt sieben Kantone. Müsste die S-Bahn daher nicht richtiger «S-Bahn Ostschweiz» heissen?

Boos: Ja. Das wurde auch so diskutiert. Die übereinstimmende Meinung war indessen, dass St. Gallen als Marke im Zusammenhang mit der S-Bahn auf dem Markt besser wirkt – pragmatisch, wie die Ostschweiz nun einmal ist.

Ernst Boos Geschäftsführer Thurbo und Vorsitzender der Geschäftsleitung (Bild: Mario Tosato)

Ernst Boos Geschäftsführer Thurbo und Vorsitzender der Geschäftsleitung (Bild: Mario Tosato)

Heinrich Güttinger Mitglied der sechsköpfigen Geschäftsleitung der Südostbahn, Bereich Verkehr (Bild: pd)

Heinrich Güttinger Mitglied der sechsköpfigen Geschäftsleitung der Südostbahn, Bereich Verkehr (Bild: pd)