Der von Ostschweizer Politikern geforderte grosse Bahnausbau in der Region hat in Bern einen schweren Stand. Für den Bund haben die grössten Engpässe Priorität. Der Verband öffentlicher Verkehr zweifelt gar, ob die nötige Nachfrage besteht.
Demnächst befasst sich das Parlament mit der künftigen Finanzierung und dem weiteren Ausbau der Bahn. Im Vorfeld der Debatte geht beinahe im Monatsrhythmus eine Region mit einem Wunschzettel voller Bahnprojekte in die Offensive. Auf nationaler Ebene werden die von den St. Galler Ständeräten Karin Keller-Sutter (FDP) und Paul Rechsteiner (SP) lancierten Forderungen deshalb bloss zur Kenntnis genommen. Im Bundesamt für Verkehr (BAV) heisst es, dass es für weitere Ausbauten ein Ja des Parlaments und des Stimmvolks zu den neuen Finanzierungsquellen brauche, die in der Vorlage enthalten seien. «Auch damit bleiben die finanziellen Mittel für den Ausbau aber beschränkt», sagt Sprecher Andreas Windlinger. Deshalb müsse der Bund Prioritäten setzen. Vorrang hätten Ausbauten, für die wegen bestehender Engpässe und einer absehbaren Verkehrszunahme ein unmittelbarer Bedarf bestehe. Dazu gehörten primär die Ost/West-Achse mit Knoten wie Lausanne und Bern. Windlinger betont aber, dass auch Projekte aus der Ostschweiz profitierten, etwa der Ausbau der Strecke Zürich-Chur für den Halbstundentakt, die RhB und die Südostbahn. Zudem komme die Ostschweiz bereits beim Anschluss ans internationale Hochgeschwindigkeitsnetz (HGV) stark zum Zug. Tatsächlich werden aus diesem Topf etwa Ausbauten auf der Rheintalstrecke finanziert.
Noch weniger begeistert ist der Verband öffentlicher Verkehr (VöV). Er fordert für den ersten Schritt des weiteren Bahnausbaus zwar 2,5 Milliarden Franken zusätzlich zu den 3,5 Milliarden, die der Bundesrat vorsieht. Darin sind aber keine grossen Sprünge in der Ostschweiz vorgesehen. Stattdessen geht es etwa um Ausbauten in der Romandie, auf der Strecke von Bern nach Lausanne oder um ein drittes Gleis im Raum Bern, das den Viertelstundentakt der S-Bahn ermöglichen soll. VöV-Direktor Ueli Stückelberger erteilt den Ostschweizer Plänen denn auch eine Absage. «Es ist eine Frage der Prioritäten.» Fraglich sei, ob es über die Seelinie bis nach Chur genug Verkehrsaufkommen habe, um die ausgebauten Strecken auch kostendeckend betreiben zu können. Die Kantone müssten den Betrieb mit zusätzlichen Mitteln unterstützen.
Gemäss Stückelberger könnte die sechs Milliarden-Variante des VöV im Parlament mehrheitsfähig sein, da damit am meisten Leute zufrieden seien. «Jede Region will nun nochmals etwas bringen, was für sie wichtig ist. Es wird offensichtlich, dass man nicht alles bauen kann.» In der Tat ist zurzeit unsicher, ob im Parlament erneut eine Allianz der Ostschweiz mit der Westschweiz zum Zug kommen dürfte, wie es beim HGV-Anschluss der Fall war.
Die SBB wollen die Ostschweizer Pläne gar nicht erst kommentieren. Die Antwort in der Vernehmlassung zur Vorlage zeigt aber, dass die Bundesbahnen anderswo ansetzen. Zentral sei etwa die Beseitigung der Engpässe auf der Strecke Zürich-Aarau und im Raum Bern. Klar ist: Die SBB und der Bund verfolgen beim Bahnausbau die Devise mehr Kapazität vor mehr Tempo. Deshalb dürften auch Geschwindigkeiten von 200 km/h im Rheintal auf absehbare Zeit eine Illusion bleiben. So bezeichnete BAV-Chef Peter Füglistaler unlängst vor Branchenkennern ein anderes Projekt, die von pensionierten Bahnexperten lancierte HGV-Strecke Zürich-Roggwil, als Traum. «Jede Fahrzeitverkürzung generiert auch zusätzlichen Verkehr», sagte er. Zentral sei zurzeit die Bewältigung der wachsenden Nachfrage. Die HGV-Strecke würde riesige Kosten auslösen, aber nur wenigen Zügen pro Stunde nützen. Deshalb setze der Bund auf Ausbauschritte, die nicht nur dem Fern-, sondern auch dem Güter- und Regionalverkehr nützten.