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Ostschweiz
Das St.Galler Links-Grüne-Lager hat in den letzten Wahlen massive Verluste erlitten. Die Strategie der Sozialdemokraten kann nur ein Ziel haben: Wieder Boden gutmachen.
Inhaltsverzeichnis
Die Entwicklung des Wähleranteils der St.Galler SP bei den Nationalratswahlen gleicht einer Fieberkurve: Ihr Hoch hatte die Partei 2003 mit 18,4 Prozent. 2011 waren es immerhin noch 16,7 Prozent – zwischendrin lag der Absturz von 2007 (14,7%) und dann jener von 2015 (14,2%). Einmal, 1995, hatte es für drei Mandate gereicht, seither wurde zumindest die Zweiervertretung verteidigt. Die SP setzte vor drei Jahren auf die bewährte Listenverbindung mit den Grünen: So gelang es ihr zwar, ihre beiden Sitze mit Barbara Gysi und Claudia Friedl zu halten, für den Sitz der Grünen reichte es dann aber nicht mehr. Gleichwohl ist die Listenverbindung auch für die Wahlen 2019 ein Thema.
Nach dem Einbruch wieder auf stabilem Kurs
SP-Chef Christian Levrat gibt das nationale Ziel vor: Die Sozialdemokraten sollen ihren Wähleranteil im nächsten Jahr auf «deutlich über 20 Prozent» steigern. Für die SP im bürgerlich dominierten Kanton St.Gallen ein zu hoch gestecktes Ziel, trotz einer Auswahl prägnanter Köpfe. Die beiden Sitze im Nationalrat dürften ungefährdet sein, ebenso der Ständeratssitz von Paul Rechsteiner – trotz des angedrohten Angriffs von rechts. Eine kleine Unsicherheit bleibt zumindest theoretisch bestehen: Wird Karin Keller-Sutter in den Bundesrat gewählt, ist die Ausgangslage für die Ständeratswahlen eine andere. Das Duo Rechsteiner-Keller-Sutter bricht auseinander, die CVP wird wieder mitmischen, die SVP ebenfalls. In der Praxis wird sich das kaum auf den SP-Sitz auswirken, mit dem Bisherigen-Bonus dürfte Rechsteiner die Wiederwahl problemlos schaffen. Und im Nationalrat? Barbara Gysi hat stets dem Eindruck widersprochen, Rechsteiner baue sie als Nachfolgerin auf. Zwar habe sie als Parteisekretärin einen Teil seiner Wahlkämpfe mitorganisiert, doch sie sei ansonsten ihren eigenen Weg gegangen. Genauso wie Ratskollegin Claudia Friedl – eher der Typ stille Schafferin, die im Parlament wenig auffällt – hat sie in Bern an Bekanntheit zugelegt, gilt aber noch nicht als Schwergewicht. Das Format ihrer Vorgänger Hildegard Fässler und Paul Rechsteiner erreichen beide nicht. Die St.Galler SP-Delegation in Bern lebt nach wie vor vor allem von Rechsteiners Strahlkraft.
Fazit: Die SP wird ihren Besitzstand wahren – alles darüber hinaus (oder darunter) wäre eine Überraschung.
Die St.Galler SP rund um Zugpferd und Urgestein Paul Rechsteiner hat gute Karten. Dem mächtigsten Gewerkschafter des Landes gelang im bürgerlichen Kanton St.Gallen 2011 der Sprung vom National- in den Ständerat. Der amtsälteste Parlamentarier der Schweiz hat sich im Stöckli etabliert – zur Überraschung seiner Gegner nicht zuletzt dank der Zusammenarbeit mit seiner freisinnigen Ratskollegin Karin Keller-Sutter. 2019 wird er, dannzumal 67 Jahre alt, erneut antreten. Ebenfalls aus dem Gewerkschaftsflügel kommt Barbara Gysi (54): Die Vizepräsidentin der SP Schweiz rutschte 2011 für Rechsteiner in den Nationalrat nach und würde ihn nun gerne auch als Präsidentin des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes beerben. Gysi wird genauso wieder zur Wahl antreten wie wohl auch Umweltwissenschafterin Claudia Friedl, 2013 für Hildegard Fässler in den Nationalrat nachgerückt.
Ambitionen hat auch der Gossauer Ruedi Blumer (61). Der Schulleiter sitzt seit 1996 im Kantonsrat; die Wahl in den St.Galler Stadtrat hatte er 2012 klar verpasst. Seit Juni präsidiert er den Verkehrs-Club der Schweiz – eine Funktion, die er nun als Sprungbrett nützen will. Ob sein Plan aufgeht, scheint mehr als fraglich. Still geworden ist es um Monika Simmler, ehemalige Präsidentin der Kantonalpartei, erster Ersatz bei den Nationalratswahlen 2015. Gut abgeschnitten hatte 2015 der Wiler Stadtparlamentarier Arber Bullakaj, doch auch ein anderer Wiler könnte Ambitionen haben: Stadtrat und Kantonsrat Dario Sulzer. Bettina Surber, Anwältin und Kantonsrätin, scheint sich vorerst fürs Co-Präsidium der Fraktion entschieden zu haben.
Max Lemmenmeier, bei der SP zeichnen sich keine personellen Wechsel in Bern ab. Sie können sich zurücklehnen.
Wir werden alles daran setzen, das heutige Kräfteverhältnis in den beiden Räten zu verändern. Die sozialen und grünen Kräfte müssen unbedingt gestärkt werden. Wir werden einen engagierten Themenwahlkampf führen.
Zu welchen Themen?
Die Krankenkassenprämien müssen wieder bezahlbar, die individuellen Verbilligungen verstärkt werden. Und die Familien müssen finanziell entlastet werden, unsere Familien-Initiative tut das.
Ein dritter Nationalratssitz ist kein Thema?
Selbstverständlich wollen wir einen dritten Sitz holen. Es ist wichtig, dass die links-grün-grünliberale Vertretung des Kantons St.Gallen wieder mindestens vier Sitze im Nationalrat innehat. Die Grünen verloren 2015 ihren Sitz – auch wegen der SP.
Weshalb sollten sie erneut mit der SP marschieren?
Gemeinsam sind wir stärker. Das ist sowohl uns als auch den Grünen klar.
Die Bürgerlichen werden um den möglicherweise frei werdenden zweiten Ständeratssitz buhlen. Ihr «liebstes Gspänli» für Paul Rechsteiner?
Für die SP sind soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit zentrale Werte. Wer nur Steuersenkungen für wenige, Abbau staatlicher Leistungen und keinen ökologischen Umbau der Gesellschaft will, ist für uns nicht wählbar.
Kann der Andrang der Bürgerlichen am Ende Rechsteiner gefährlich werden?
Nein. Paul Rechsteiner kämpft kompromisslos für gute Löhne, sichere Renten und Menschenrechte. Die Bevölkerung weiss das. Und sie weiss auch, dass er sich so erfolgreich für unseren Kanton einsetzt wie vor ihm lange keine Ständeräte.
Verlöre das St.Galler Ständerats-Duo bei neuer Konstellation an Schlagkraft?
Paul Rechsteiner hat sich für die Metropolitanregion Ostschweiz, den öffentlichen Verkehr, den Stiftsbezirk St.Gallen stark gemacht. Er wird dies auch in einer neuen Konstellation in zielstrebiger Manier tun.
Ist es für den Nachwuchs nicht frustrierend, wenn in Bern alles beim Alten bleibt?
Es fliesst viel Berner Wissen in die Kantonalpartei zurück. Das wirkt nicht frustrierend, sondern befruchtend und bringt dem Parteinachwuchs viel.
Gesellschaft
Die SP setzt sich für gute und bezahlbare familien- und schulergänzende Betreuungsplätze ein. Denn: Das Recht auf Familie sei ein Menschenrecht und dürfe nicht von Finanzen abhängen. Ihre gemeinsam mit der CVP im Kanton lancierte Familien-Initiative fordert denn auch höhere Kinder- und Ausbildungszulagen. Damit sollen Familien gestärkt und finanziell entlastet werden.
Gesundheit
Die SP setzt sich für eine starke und bezahlbare Gesundheitsversorgung ein. So kämpft sie seit Jahren gegen die stetig steigenden Krankenkassenprämien. Diese müssten endlich für alle wieder bezahlbar werden. Zum einen fordert die SP eine öffentliche Krankenkasse; zum anderen verlangt sie, dass die Prämien nach Einkommen statt pro Kopf erhoben werden. Bis dies soweit ist, kämpft die SP für höhere individuelle Prämienverbilligungen. Zudem müsse der Wettbewerb zwischen den Spitälern gedrosselt werden. Dieser führe nicht zu höherer Effizienz, sondern zu einer Mengenausweitung und damit zu Mehrkosten.
Bildung
Die Bildung, so die SP, dient nicht bloss der Vermittlung von Wissen; sie fördert auch Kreativität und Sozialkompetenz. Bildung sei ein Service public: Die öffentliche Hand sei verpflichtet, allen eine chancengleiche und den persönlichen Bedürfnissen entsprechende Bildung zu ermöglichen und zu garantierten.
Finanzen
Der Steuerwettbewerb zwischen den Kantonen sei so weit fortgeschritten, dass er zu leeren Kassen und einem schmerzhaften Leistungsabbau führe, hält die SP fest. Sparprogramme vernichteten Arbeitsplätze und seien von Grund auf unsozial. Leidtragende seien alle – Schulen, Spitäler, Umwelt, Kultur. Die SP steht ein für einen starken Service public und verlangt eine Finanzpolitik, die Innovationen fördert und die Konjunktur belebt.
Umwelt
Die SP fordert den vollständigen Ausstieg aus der Atomenergie. Der ökologische Umbau der Gesellschaft müsse mit allen Kräften vorangetrieben werden: weg vom CO2, Entwicklung erneuerbarer Energien. Die Umweltpolitik soll primär auf Prävention ausgerichtet werden, dazu gehöre ein konsequenter Artenschutz.
Europa
Als einzige Bundesratspartei fordert die SP die rasche Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen. Nur so könne die Schweiz mitreden und Entscheide mitgestalten.