Unter den Trockenfrüchten sind sie eine spezielle Köstlichkeit: Ganze gedörrte Birnen. Sie gehören zum kulinarischen Erbe insbesondere der Ostschweiz. Gepflegt wird dieses Erbe mit viel Aufwand und Herzblut in Lömmenschwil.
«Bire-Birewegge, Chäs und Wurscht, git bigoscht an schöne Durscht …» Wohl kaum eine andere Gaumenfreude ist so lüpfig besungen worden wie der «Birewegge» in der gleichnamigen Polka der Streichmusik Alder. Und vielleicht stecken in diesen «Birewegge» ja Dörrbirnen aus dem Betrieb von Thomas und Jacqueline Oeler aus Lömmenschwil SG, die jedes Jahr um die 70 Tonnen frische Birnen verarbeiten. In Öfen, die nach alter Väter Sitte mit Holz geheizt werden.
Ihr Hof liegt etwas abseits, umgeben von Wiesland und vielen Hochstammobstbäumen. An diesem Herbstmorgen bläst eine giftige Bise. Wir sind froh, vor ihr in den Ofenraum flüchten zu können. Dort empfängt uns eine wohlige Wärme und ein süsslicher Duft. Thomas Oeler und die Helferin Julie Edelmann sind daran, Birnen zu sortieren, die er auf Gittern aus dem Ofen geholt hat. Jene, die fertig gedörrt sind, werden ausgesondert, die andern kommen nochmals in den Ofen. Alles Handarbeit. «Man sieht aber meist schon von Auge, welche Birnen den richtigen Dörrgrad erreicht haben, ganz sicher ist man, wenn man sie in den Fingern hat. Wir machen das ja nicht erst seit gestern», sagt Oeler.
Vor 14 Jahren haben Oelers den Betrieb von Hans Alder übernommen, dessen Vater mit dem Dörren von Früchten kurz vor dem Zweiten Weltkrieg begonnen hatte.
«Er hatte eine gute Nase. Er hat wohl geahnt, dass die Lebensmittel mal noch knapp werden könnten.»
Jedenfalls spielten in jenen Jahrzehnten gedörrte Früchte und Gemüse noch eine wichtige Rolle auf dem Esstisch. Der 84-jährige Alder springt auch heute noch ein, wenn mal Not am Mann ist.
Sind die Birnen fertig sortiert, werden die leer gewordenen Gitter wieder mit frischen Birnen belegt, und Oeler schiebt sie in den Ofen, in die heisseste Zone mit rund 75 Grad. Die übrigen Gitter werden je nach Dörrgrad der Birnen in den unterschiedlichen Wärmezonen des Ofens platziert.
An diesem Morgen ist von zwei Öfen nur einer in Betrieb, er ist in zwei unterschiedlich heisse Kammern unterteilt. Liegen alle Birnen wieder am richtigen Ort im Ofen, heizt ihn Oeler erneut ein, mit Holz – der Holzdörrofen ist einer der letzten in der Schweiz. Und am nächsten Morgen geht es mit Sortieren weiter. «Bis die Birnen fertig gedörrt sind, geht es zwei bis vier Tage, je nach Sorte und Grösse der Früchte», erklärt Oeler. Sie verlieren bis 80 Prozent ihres Gewichts. Gedörrt werden die Birnen als Ganze, also weder halbiert noch geviertelt. Sie bleiben deswegen weich und haben eine schmeichlerisch-fleischige Konsistenz. Um Missverständnissen vorzubeugen: Feuerstelle und Dörrkammern sind hermetisch getrennt, da gibt es keine Rauchnoten an den Birnen.
Von den rund 70 Tonnen, die Thomas und Jacqueline Oeler verarbeiten, dörren sie rund ein Drittel in Lohnarbeit für Kunden.
«Das kann ein Kleinauftrag von einem Harass sein, aber eben auch ein Kunde, der bis 10 Tonnen anliefert.»
Vor dem Dörrschuppen stehen jedenfalls viele Harasse, teils aufeinandergestapelt. Für die eigene Produktion werden noch Birnen dazugekauft. Gedörrt werden aber auch Birnen im Auftrag von Fructus, der Vereinigung zur Förderung alter Obstsorten (vgl. Kasten). Von den eigenen Bäumen – gepflegt werden insgesamt 250 Hochstammbäume – kommen 17 verschiedene Birnensorten in den Ofen, aber auch kleine Mengen von Zwetschgen und Apfelringen.
Fructus, die Vereinigung zur Förderung alter Obstsorten, hat 2020 ein dreijähriges Projekt gestartet, um die Dörreigenschaften verschiedener Birnensorten zu charakterisieren. Allein in der Schweiz sind über 800 genetisch unterschiedliche, veredelte Sorten bekannt. «Ziel des Projektes ist», heisst es auf der Website, «konkrete Empfehlungen zu Dörreignung, Konsistenz und Geschmack verschiedener Birnensorten geben zu können und so auch Anreize zu schaffen, alte Birnensorten vermehrt anzupflanzen und zu dörren.»
Gedörrt werden die Birnen bei Oelers in Lömmenschwil, sie stammen teils aus der Obstsortensammlung in Roggwil. Das Projekt wird im Rahmen des Nationalen Aktionsplanes zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung pflanzengenetischer Ressourcen durchgeführt.
www.fructus.ch: Dort findet sich auch eine Liste mit Dörr- und Trocknungsbetrieben in der Schweiz.
Inzwischen ist Jacqueline Oeler dazugestossen. Sie beginnt sofort, Bestellungen zu bearbeiten. Der Betrieb hat einen grossen Kundenkreis, er reicht bis nach Deutschland, in die Niederlande und nach Österreich. «Bekannt gemacht hat uns da ein Beitrag auf dem TV-Kanal Arte, in dem unter anderem unser Betrieb vorgestellt wurde», sagt Jacqueline Oeler. Beliefert wird mit den Dörrbirnen auch das traditionsreiche Delikatessengeschäft Schwarzenbach im Oberdorf der Zürcher Altstadt, das schon mit seinen stilvoll hergerichteten Auslagen lockt. Und schliesslich gibt es noch den eigenen kleinen Hofladen.
Jacqueline Oeler macht gerne mal einen Schlorzifladen, diese appenzellisch-toggenburgische Spezialität mit Dörrbirnenfüllung unter Rahmguss. Die Kinder seien allerdings nicht so scharf darauf, sagt sie. Julie Edelmann kocht Dörrbirnen hin und wieder mit Bohnen. Beide empfehlen die Köstlichkeit auch zu Käse und Baumnüssen, etwa zu einem Apéro. Schneidet man sie quer dünn auf, fast wie das Mostbröckli, das auch gut dazu passt, machen die gedörrten Schrumpeldelikatessen mit einer feinen Maserung auch optisch etwas her.
Und sind sie schon mal aufgeschnitten, lassen sie sich auch mit Butter bestreichen – köstlich. Schliesslich schmecken sie auch in einem Dessert wunderbar, das in der Innerschweiz Tradition hat: geköchelt in Rotwein, dem etwas Zucker, Zimtstange und Nelken beigegeben wurden, und kombiniert mit Schlagrahm oder Vanilleglace – oder mit beidem.
Schicken Sie Ihr Suppenrezept bis Ende Oktober an sabine.camedda@chmedia.ch