Festtagsgeläut: Vier Ostschweizer Kirchenglocken als klingende Botschafter Gottes

Wenig Kriege, konfessionelles Wetteifern und weitläufige Gemeinden: Das sind Gründe, warum die Ostschweiz eine reichhaltige Glockenlandschaft aufweist. Glocken sind zwar ein verborgenes Kulturgut, werden aber täglich genutzt. Während der
Weihnachtstage wird ihr Läuten wohlwollender aufgenommen als sonst. Wir werfen einen Blick in vier Ostschweizer Kirchtürme.

Christoph Zweili
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Die Seuchenglocke

Die St.Pelagiuskirche mit ihrem barocken Helm, der den mittelalterlichen Turm abschliesst, steht inmitten der Altstadt von Bischofszell, umgeben von mittelalterlichen Häusern. Die As-Glocke ist mit 95,5 Zentimetern Höhe die zweitkleinste im sechsstimmigen Geläut, aber immer noch 606 Kilogramm schwer. Oben am Hals ist die Widmung «Dem Heiligen Wendelin» und auf halber Höhe des Glockenkörpers eine figürliche Darstellung des Schutzpatrons der Bauernschaft zu finden.
Was haben Bauern mit Kirchenglocken zu tun? Die Erklärung: Im Winter 1965/66 grassierte in der Region die Maul- und Klauenseuche. Die Bischofszeller Bauern beteten damals zu Gott und versprachen, eine Glocke zu stiften, wenn sie verschont würden. Und siehe da: Das Vieh wurde nicht krank.

Blick aus dem Glockenturm der katholischen Kirche St. Pelagius auf Bischofszell. (Bilder: Andrea Stalder)

Blick aus dem Glockenturm der katholischen Kirche St. Pelagius auf Bischofszell. (Bilder: Andrea Stalder)

Die grosse As-Ton-Glocke der Katholischen Kirche St. Pelagius.

Die grosse As-Ton-Glocke der Katholischen Kirche St. Pelagius.

Der Bischofszeller Pfarrer Christoph Baumgartner und der Glockenexperte Hans Jürg Gnehm (rechts) diskutieren Details zur Seuchenglocke.

Der Bischofszeller Pfarrer Christoph Baumgartner und der Glockenexperte Hans Jürg Gnehm (rechts) diskutieren Details zur Seuchenglocke.

Blick in den mächtigen Glockenstuhl.

Blick in den mächtigen Glockenstuhl.

Die Glocke wurde 1967 von der Ostschweizer Giesserei Emil Eschmann in Rickenbach bei Wil gegossen. Die Glocken, die im Salve-Regina-Motiv mit verdoppeltem Grundton erklingen, zeichnen sich durch festlich-farbenreich voluminöse Klangfarben aus.

Link: Die sechs Glocken der St.Pelagiuskirche anhören

Das Glockenmonster

«Künderin der ewigen Liebe Jesu Christi im Allerheiligsten Sakrament» steht vierzeilig auf der 233 Zentimeter mächtigen Glocke, gegossen 1938 in Staad, wie der ovalen Giessermarke zu entnehmen ist. Die 1874 gegründete Glockengiesserei war bis 1940 gut ausgelastet: Einer der letzten grossen Aufträge war das fünfstimmige F-Geläut der Pfarrkirche «Mutter vom guten Rat» in Berneck.

Die Pfarrkirche "Mutter vom guten Rat" in Berneck. (Bilder: Urs Bucher)

Die Pfarrkirche "Mutter vom guten Rat" in Berneck. (Bilder: Urs Bucher)

Das Läut- und Schlagwerk im Glockenturm der Pfarrkirche "Mutter vom guten Rat".

Das Läut- und Schlagwerk im Glockenturm der Pfarrkirche "Mutter vom guten Rat".

"Künderin der ewigen Liebe Jesu Christi im Allerheiligsten Sakrament" steht auf der zweitgrössten Glocke der Schweiz in der Pfarrkirche in Berneck.

"Künderin der ewigen Liebe Jesu Christi im Allerheiligsten Sakrament" steht auf der zweitgrössten Glocke der Schweiz in der Pfarrkirche in Berneck.

Mit dieser F-Glocke hat es eine besondere Bewandtnis: Sie hat nicht nur den gleichen Schlagton wie die evangelische Kirche Rorschach und die katholische Andreaskirche Gossau. Sie ist mit 9120 Kilogramm nach der Münsterglocke von Bern auch die zweitschwerste Glocke der Schweiz. Und sie ist so gross, dass sie eigentlich nicht in den schlanken Kirchturm passt. Wenn sie läutet, müssen die Läden geöffnet werden, da sie sonst vom Klöppel zerschlagen würden. Auch der Turm musste mit Eisenkonstruktionen verstärkt werden, damit er das schwere Geläut tragen kann. Mit der grossen Glocke wird der Stundenschlag geschlagen und sie erklingt auch zu den Hochfesten.

Link: Die fünf Glocken der Kirche «Mutter vom guten Rat» anhören

Die Papstglocke

127 Treppenstufen sind’s bis zur Glockenstube im Turm der Evangelisch-Reformierten Kirche von Herisau. Erstaunlicherweise begrüsst einen hier ein Papst. Ein Bild von Benedikt XIV. schmückt die Grosse Glocke. Zusammen mit der Jahreszahl 1756 und dem Wappen der ehemaligen Reichsabtei Salem ergibt sich der Herkunft der Glocke. Das bedeutende Zisterzienserkloster Salem wurde 1802 im Zuge der Säkularisierung aufgehoben, die Kirchenschätze veräussert. Landeshauptmann Johannes Preisig in Herisau zeigte Interesse an der grossen Glocke. Dafür wurde in Salem ein Preis von 8000 Gulden ausgehandelt. Der Betrag kam innerhalb von zwei Wochen durch Spenden zusammen.

Die Evangelische Kirche St. Laurentius in Herisau. (Bilder: Urs Bucher)

Die Evangelische Kirche St. Laurentius in Herisau. (Bilder: Urs Bucher)

Die prächtig verzierte Ges-Ton-Glocke in der Evangelischen Kirche St. Laurentius in Herisau schmückt ein Bild von Papst Benedikt XIV.

Die prächtig verzierte Ges-Ton-Glocke in der Evangelischen Kirche St. Laurentius in Herisau schmückt ein Bild von Papst Benedikt XIV.

Stelldichein der Engel auf der Rückseite der "Papstglocke".

Stelldichein der Engel auf der Rückseite der "Papstglocke".

Die rund sieben Tonnen schwere Glocke wurde dann auf einem Lastkahn über den See nach Rorschach transportiert – 20 Pferde zogen darauf den Wagen mit der kostbaren Last durch St. Gallen nach Herisau. Die Hergottsglocke mit einem Durchmesser von 218 Zentimetern gehört zu den bedeutendsten der Barockzeit. Sie gilt als Hauptwerk des Waldshuter Glockengiessers Franz Anton Grieshaber.

Link: Die Glocken der evangelischen Kirche St. Laurentius anhören

Das Totenglöcklein

Die Pfarrkirche in Appenzell ist dem Heiligen Mauritius geweiht, dem Landespatron des Kantons Appenzell Innerrhoden. Vom heutigen Geläut wurden 1923 sieben Glocken neu gegossen. Viel älter ist allerdings das Schutzengelglöcklein von 1509, die älteste Glocke in Innerrhoden. Wenn ein Todesfall in der Kirche verkündet wird, läutet diese Glocke am Schluss des Gottesdienstes: Man spricht vom Endläuten. «Lasst die Kinder zue mir komen, dan ihren ist das rich der himlen» steht auf der 300 Kilogramm schweren c-moll-Glocke. Eine Inschrift, wie sie der Glockenexperte Hans Jürg Gnehm noch nie auf einer so alten Glocke angetroffen hat: «Sinngemäss ist sie die wohl am meisten verwendete bei den kleinsten, beziehungsweise tonhöchsten Glocken in reformierten Geläuten.»

Die Pfarrkirche St. Mauritius in Appenzell.

Die Pfarrkirche St. Mauritius in Appenzell.

Die kleine C-Ton-Glocke in der Pfarrkirche St. Mauritius gehört nicht zum Vollgeläut. Diese achte Glocke wird nur geläutet, wenn im Gottesdienst ein Todesfall verkündet wird.

Die kleine C-Ton-Glocke in der Pfarrkirche St. Mauritius gehört nicht zum Vollgeläut. Diese achte Glocke wird nur geläutet, wenn im Gottesdienst ein Todesfall verkündet wird.

In einem alten Buch ist zu finden, dass das Glöcklein von der Stosskapelle in die Pfarrkirche genommen und geläutet wurde, da beim Dorfbrand von 1560 alle Glocken verbrannten. Eine andere Quelle behauptet, das Glöcklein sei kein Neuguss, sondern das erhalten gebliebene Lehrglöcklein von 1509.

Link: Die sieben Glocken der Pfarrkirche St. Mauritius anhören