Eishockey-Goalie Melvin Nyffeler vom NLA-Letzten Rapperswil-Jona ist in der Krise: «Mit dem Finger aufeinander zu zeigen, hat keinen Sinn.» Torhüter Jonas Hiller hingegen grüsst mit Biel von der Tabellenspitze. «Früher waren hier zu viele zu schnell zufrieden», so der Urnäscher.
Melvin Nyffeler hat keinen einfachen Job. Dass es eine schwierige Saison für Aufsteiger Rapperswil-Jona werden wird, war allen Beteiligten bewusst. Und so kam es auch: Nach zehn Spielen liegt das Team mit nur einem Sieg auf dem letzten Platz. Wenige Monate nach der vielumjubelten Rückkehr in die höchste Spielklasse hat sich am äussersten Rand des Kantons St. Gallen die Ernüchterung breitgemacht.
«Wir wussten, dass diese Saison eine 180-Grad-Wende im Vergleich zur vergangenen Spielzeit wird, als wir praktisch alles gewonnen haben und aufgestiegen sind», sagt Goalie Nyffeler. Und er ergänzt: «Für mich war es absehbar, dass wir in den ersten Partien untendurch müssen.» Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: 9 erzielten Toren stehen 32 erhaltene gegenüber. Einzig gegen Lausanne gewann das Team von Trainer Jeff Tomlinson – dank eines Treffers wenige Sekunden vor Spielende. «Wir erzielen einfach zu wenig Tore», zieht Nyffeler eine erste Bilanz. Doch der Goalie unterstreicht, dass die Stimmung in der Mannschaft nicht unter den Niederlagen gelitten hat.
«Wir können immer noch miteinander lachen, es wird nicht herumgehässelt. Unsere Baustellen sind auf und nicht neben dem Eis.»
Die grösste Schwäche des Teams ist die Offensive. Weniger als ein Tor erzielen die Ostschweizer im Schnitt. Eine miserable Quote – und eine frustrierende Situation für einen Goalie. «Ich kann nun mal keine Tore machen», sagt Nyffeler, «ich erledige meinen Job und habe Vertrauen in unsere Stürmer. Die wissen schon, wie sie vor dem Tor agieren müssen. Da brauchen sie nicht auch noch den Torhüter, der ihnen ständig in den Ohren liegt.» Letztlich sei die Situation nicht nur für ihn unbefriedigend, sondern für das ganze Team. Nyffeler: «Da hat es keinen Sinn, mit dem Finger aufeinander zu zeigen.» Genugtuung trotz der Niederlagen Dass die Stimmung beim Aufsteiger aus Rapperswil-Jona trotz des schwachen Saisonstarts intakt ist, liegt am kommunizierten Saisonziel. «Wir wollen den Ligaerhalt schaffen. Das schreit doch schon förmlich nach weniger Toren und Punkten im Vergleich zur vergangenen Saison, als wir den Aufstieg anpeilten», so Nyffeler. Daher sei es Einstellungssache, sich durch die Niederlagen nicht aus dem Konzept bringen und den Kopf hängen zu lassen.
Dass der Goalie aus dem Zürcher Oberland keiner ist, der nach Ausreden sucht, beweist er sogleich: «Man darf auch mal ganz deutlich sagen: Wer unseren Kader anschaut, der weiss, dass es für uns in dieser Saison schwierig wird. Zumal die NLA eine der besten Eishockeyligen in Europa ist.» Für Nyffeler ist derweil jedes Spiel in der höchsten Liga eine Genugtuung. Er galt als Junior bei den ZSC Lions als grosses Talent, bestritt bereits als 18-Jähriger seine ersten Spiele in der höchsten Liga und wies eine überragende Fangquote auf. Doch ein zerschlagener Wechsel zu Servette und ein Dasein als Ersatzgoalie bei Fribourg brachten die Karriere ins Stocken. Um seine Laufbahn neu zu lancieren, wechselte Nyffeler zu Rapperswil-Jona in die NLB – nun ist er zurück im Oberhaus.
«Ich habe mir einen Platz als Stammgoalie in der NLA verdient.»
Dass er sich nach drei Jahren in der Ostschweiz zu Hause fühlt, belegt seine Vertragsverlängerung um zwei Jahre bis im Frühling 2021. Damit wolle er einen Teil des in ihn gesetzten Vertrauens zurückzahlen. «Der Club liegt mir am Herzen. Ja, die Situation jetzt ist unbefriedigend. Aber ich will meinen Teil dazu beitragen, den Club vorwärtszubringen.»
Jonas Hiller sagt es ganz unverblümt: «Ich bin stolz darauf, dass alle mehr von uns erwarten.» Dem Bieler Goalie ist bewusst, dass sich nach der Halbfinalqualifikation in der vergangenen Saison ein neues Selbstverständnis im Verein gebildet hat. Biel ist nicht mehr der Club, der er vor einigen Jahren war. Die Berner sind ein Kandidat für den Titel – auch wenn Goalie Hiller das nicht beim Namen nennen will. «Das ist noch etwas weit weg. Wir wollen zu den besten vier Teams gehören», so der 36-Jährige aus Urnäsch, der über 400 NHL-Spiele absolviert hat.
«Aber die Tatsache, dass jeder nach dem Aus im Playoff-Halbfinal gegen Lugano enttäuscht war, zeigt, dass wir alle mehr wollen.»
Mit 24 Punkten aus 11 Spielen hat Biel dort weitergemacht, wo es in der vergangenen Spielzeit in der Qualifikation aufgehört hatte. Damals holte der Club in der zweiten Saisonhälfte die meisten Punkte aller Teams. Rückblickend steht Hiller dieser Errungenschaft kritisch gegenüber: «Eine solche Erfolgsserie macht es schwierig, bei ungewohnt vielen Niederlagen zu reagieren.» Damit spielt der Torhüter auf den Playoff-Halbfinal gegen Lugano an, als Biel die ersten beiden Partien gewann, dann aber die Serie nach vier Niederlagen am Stück noch aus der Hand gab. Hiller ist aber überzeugt: «Diese Erfahrung wird uns in dieser Saison helfen.»
Die Harmonie als Schlüssel Hiller geht in sein drittes Jahr im Bieler Tor. Bei seiner Rückkehr aus Nordamerika belächelten viele den Wechsel. «Als ich hierher kam, waren zu viele Spieler zu schnell zufrieden. Jetzt ist der Wille da, etwas zu erreichen», so der zweifache Familienvater. Als grosse Stärke der Berner macht Hiller die Ausgeglichenheit aus. Biel verfüge über vier gleich starke Linien, wobei jede den Unterschied schaffen könne. «Vom Potenzial her haben wir mehr individuelle Klasse als vor einem Jahr. Aber das heisst nicht immer, dass eine Mannschaft besser wird», sagt Hiller.
Dass Biel aber nochmals einen Schritt nach vorne machen konnte, sieht der Goalie als Verdienst der guten Arbeit der Vereinsspitze.
«Die Verantwortlichen machen seit Jahren einen gut Job, achten darauf, dass ein Neuzugang unser Team sowohl spielerisch als auch menschlich ergänzt. Ein berühmter Name bringt nichts, wenn er nicht in die Mannschaft passt.»
Auch seinem Trainer Antti Törmänen windet Hiller ein Kränzchen: «Er hat ein gutes Gespür, wie er Linien zusammenstellen muss, welche Charaktere gut zusammenpassen. Jeder Spieler hat das Gefühl, ein wichtiger Teil des Ganzen zu sein.» In ihren elf Saisonspielen haben die Bieler 40 Treffer erzielt – zehn mehr als jeder andere Club in der NLA. «Ich kann mich nicht über zu wenig Tore meiner Teamkollegen beklagen. Da habe ich schon etwas Mitleid mit Melvin Nyffeler», sagt Hiller und erklärt: «Es kann sehr frustrierend sein, wenn du als Goalie alles gibst, um deiner Mannschaft die Chance zu geben, eine Partie zu gewinnen – und dann machen die Stürmer nur einen oder zwei Treffer.»
Hiller kassiert mit durchschnittlich 1,76 Gegentoren pro Partie nur etwa halb so viele wie sein Konkurrent Nyffeler bei Rapperswil-Jona. Doch auf solche Zahlen bildet sich der Routinier nichts ein. «Ich kassiere lieber mehr Tore und gewinne als umgekehrt. Aber solange ich wenig Treffer erhalte, steigen unsere Siegeschancen», sagte der Ostschweizer. Genauso ist sich Hiller bewusst, dass sich Biel mit dem guten Saisonstart nichts kaufen kann. «Es gibt noch 40 Spiele in der Qualifikation. Keines der anderen Teams wird jetzt sagen: Ihr seid Erster, wir schenken euch die Punkte.»