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Ostschweiz
Die St.Galler FDP will mit Susanne Vincenz-Stauffacher den freien Ständeratssitz verteidigen. Vor zwei Jahren erst stand die Abtwiler Rechtsanwältin bei einem Teil der Partei in der Kritik.
«Susanne wieviel? Noch nie gehört.» Susanne Vincenz-Stauffacher weiss um ihren Makel. Sie ist in weiten Teilen des Kantons unbekannt. Ihr erstes und bisher einziges politisches Amt: Seit September gehört sie dem Kantonsparlament an. Nun will die St.Galler FDP mit der Abtwiler Rechtsanwältin den Sitz im Ständerat verteidigen (Ausgabe vom 14. Dezember). Heute Abend schickt die Partei sie offiziell ins Rennen – eine reine Formsache.
So überzeugt die Partei von ihrer Kandidatin spricht – «sie wird die Frauen und den Freisinn standesgemäss in Bern vertreten» –, so kritisch tönt es ausserhalb: Diese Frau sei chancenlos, eine reine Alibikandidatur. Susanne Vincenz-Stauffacher selber spricht von einer «anspruchsvollen Ausgangslage». Und davon, dass der freie Sitz ein FDP-Sitz sei. Trotzdem: Nutzt sie die Ständeratskandidatur einfach dazu, ihre Chancen für künftige Wahlen zu steigern? Solche Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihrer Kandidatur kontert sie: Wenn es einzig um eine gute Ausgangslage für den Nationalrat ginge, wäre der Aufwand zu gross. Die 51-Jährige hat vor einigen Wochen Interesse an einem Platz auf der Nationalratsliste der FDP angemeldet. Demnächst werden ein Sitz in der Kantonsregierung und das St.Galler Stadtpräsidium frei – beide Ämter sind heute in freisinniger Hand. Vincenz-Stauffacher winkt ab. Ein Exekutivamt sei derzeit kein Thema für sie – «das weiss auch die Partei». Sie liebe ihre Arbeit als Anwältin und habe heute den Kopf für einen kompletten Berufswechsel nicht frei. «Ein Exekutivamt verlangt das.»
Susanne Vincenz-Stauffacher und die St.Galler FDP, das ist keine ungetrübte Liebesbeziehung. Von 2000 bis 2005 war sie Vizepräsidentin der Kantonalpartei; als sie 2016 das Präsidium anstrebte, fiel sie in Teilen der Partei in Ungnade – sie hatte von der Parteileitung klaren Rückhalt gefordert, was diese ihr verwehrte. Bei der Anfrage für die Ständeratskandidatur habe sie kurz ein Déjà-vu gehabt – «ich muss das nicht schönreden». Doch heute sei es anders:
«Ich spüre und erhalte die volle Unterstützung.»
Seit die Partei ihre Kandidatur bekanntgab, hat sich ihr Terminkalender schlagartig gefüllt – ein Anlass hier, ein Auftritt dort. Die Agenda ist nun weitgehend fremddiktiert. «Das liess ich bislang nicht zu; da bin ich etwas stur.» Vincenz-Stauffacher studierte an der HSG, ist Mutter zweier erwachsener Töchter und führt seit 1993 als Rechtsanwältin eine eigene Kanzlei in St.Gallen. Nach dem Studium arbeitete sie zwei Jahre in Rapperswil – «in einer CVP-Kanzlei». Über eine Zwischenstation in Wil kehrte sie zurück nach Abtwil. Wesentlich länger ist die Liste ihrer sozialen und ehrenamtlichen Engagements. Sie ist Präsidentin der Stiftung Opferhilfe St.Gallen und beider Appenzell wie auch Ombudsfrau Alter und Behinderung für die drei Kantone. Sie stand dem Spitexverein Gaiserwald vor und während neun Jahren bis 2014 der Frauenzentrale des Kantons St.Gallen.
Damals war sie als vehemente Gegnerin von Frauenquoten bekannt. Heute schliesst sie Quoten als Übergangslösung nicht mehr per se aus – «insbesondere dann nicht, wenn sich das Tempo auf natürlichem Weg nicht erhöht». Wie viele Frauen braucht es in Verwaltungsräten oder im Bundesrat?
«Entscheidend ist, dass sie vertreten sind.»
Sie zeigt sich überzeugt: Gemischte Gremien und Teams kommen zu «anderen, besseren und nachhaltigeren Lösungen und zu solchen, die eine höhere Akzeptanz in der Bevölkerung haben, da sich beide Geschlechter wahrgenommen fühlen».
Die Frauen müssten zwingend auch künftig im Stöckli vertreten sein. Alles andere wäre «fatal», hat ihre Partei wissen lassen. Ein taktischer Schachzug angesichts der starken männlichen Gegnerschaft? Die CVP will mit Finanzchef Benedikt Würth den freien Ständeratssitz erobern. Vincenz-Stauffacher sagt: Vielleicht habe die Partei dazu gelernt, vielleicht hätten sich die Frauen früher aber auch zu wenig gewehrt – «das ist nie eine einseitige Sache». Ganz klar ist für sie aber: «Frau sein allein reicht nicht. Das wäre auch eine Geringschätzung der Frauen.»
Das Ringen um Lösungen in schwierigen Situationen, das Entwickeln von Kompromissen und Konsens, das liege ihr. «Die Arbeitsweise im Ständerat entspricht mir.» Als Beispiel auf kantonaler Ebene nennt sie den im November vom Parlament verabschiedeten Steuerkompromiss. Gerungen wird auf nationaler Ebene um das Rahmenabkommen mit der EU. Der bilaterale Weg müsse fortgesetzt, das Verhältnis mit der EU geklärt werden – «wir dürfen dabei nicht mit dem Feuer spielen». Sie sei auch für Unabhängigkeit und Souveränität, sagt die FDP-Frau und lacht: Ihr lediger Name sei schliesslich Stauffacher – wie der legendäre Rütli-Eidgenosse.