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Ostschweiz
SP-Kantonsrätin Bettina Surber stellt das strikte Haftregime in den St.Galler Untersuchungsgefängnissen in Frage und fragt die Regierung nach Verbesserungsmöglichkeiten.
Unangenehm, beklemmend, schockierend: So erleben Touristen oder Einheimische eine Situation in der St.Galler Altstadt, die weitherum ihresgleichen sucht. Am Karlstor, am einzigen erhaltenen Stadttor der Klosterstadt, kann es zur unverhofften Begegnung mit einem Häftling kommen. In Handschellen und manchmal zusätzlich in Fussfesseln, bringen Kantonspolizisten Untersuchungshäftlinge aus ihren Zellen im Turmbau über den Klosterhof, die Treppe und die Strasse ins Gebäude Moosbruggstrasse 11. Dort nimmt die Polizei erkennungsdienstliche Massnahmen wie DNA-Proben vor und macht – eher selten – Befragungen.
Das «öffentliche Vorführen» an einem historischen Ort, der von Gruppen besucht werde, erscheine «fast wie ein Pranger im Mittelalter», empört sich ein Leser unserer Zeitung.
«Und es ist meines Erachtens ein extremer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte von Untersuchungshäftlingen, für die doch eigentlich die Unschuldsvermutung gilt.»
Tatsächlich werden Passanten und Reisegruppen am Karlstor mit Häftlingseskorten konfrontiert. In Altstadtführungen wie «Erlebnis Weltkulturerbe» ist das mittelalterliche Tor eine der besuchten Stationen. Dem veranstaltenden Tourismusbüro liegen keine problematischen Feedbacks seitens Kunden oder Stadtführerinnen vor, wie es heisst. Man gehe von «sehr seltenen Begegnungen» aus.
Die «innerpolizeilichen Zuführungen» über die öffentliche Strasse sind für die Behörden ein leidiges Thema. Bei aller Diskretion, um die sich die Polizei bemüht, sei es «eine schlechte Situation, die für die Beteiligten belastend und entwürdigend sein kann», sagt Hans-Rudolf Arta, Generalsekretär des Justiz- und Polizeidepartementes. Aufgrund der räumlichen Verhältnisse um den Klosterhof gebe es aber «keine Alternative». Mit einem Autotransport könnte zwar der Gang durchs Tor vermieden werden, doch bliebe eine weitere Treppe und benötigte dies eine halbe Stunde mehr Zeit und Personal. Handschellen (gängig) und Fussfesseln (Ausnahmefälle) seien eine Frage des Fluchtrisikos.
Von «mittelalterlichen Haftbedingungen», wie besagter Leser, mag SP-Kantonsrätin und Rechtsanwältin Bettina Surber nicht sprechen. Doch hat sie Kenntnis von den unwürdigen Szenen am Karlstor und zielt ihre neu eingereichte Interpellation ebenfalls auf die Bedingungen in den St.Galler Untersuchungsgefängnissen. Anlass geben Mängel, die 2018 von der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter im Massnahmenzentrum Bitzi feststellt wurden.
In ihrer Stellungnahme verwies die St.Galler Regierung diesen Juli auf die Verbesserungen mit dem 2020 bezugsbereiten Neubau. Doch auf die Rüge, wonach die Einschlusszeiten an den Wochenenden verschärft wurden, antwortete sie mit ausweichendem Bedauern: «Eine Verkürzung wäre nur mit gezielter personeller Verstärkung zu erreichen, die aufgrund der finanzpolitischen Vorgaben des Kantonsrates derzeit nicht geschaffen werden kann.»
Im Vollzug müssten Ressourcen geschaffen, aber darüber hinaus die Bedingungen in der Untersuchungshaft überprüft werden, fordert Surber. Das Haftregime im Kanton sei «sehr restriktiv», auch wenn das erweiterte Gefängnis in Altstätten künftig Lockerungen zulasse. In den Gefängnissen in der Stadt St.Gallen (Klosterhof, Neugasse), die ohnehin in Betrieb blieben, dürften sich Inhaftierte nur eine Stunde täglich in einem knappen Aussenraum bewegen. «Beschäftigungsmöglichkeiten gibt es keine. Dies gilt auch dann, wenn keine Verdunklungsgefahr mehr besteht. Regelmässig dauert die Untersuchungshaft zu diesen Bedingungen mehrere Monate an.» Sie fragt die Regierung nach Beschäftigungsmöglichkeiten und Haftlockerungen wie Gemeinschaftsräumen. Und sie will wissen, ob die restriktiven Haftverhältnisse allein mit dem Gebäude zu erklären seien oder auch die personellen Ressourcen eine Rolle spielten.
Obwohl für U-Häftlinge die Unschuldsvermutung gilt, sind ihre Haftbedingungen laut Anwältin Surber «deutlich restriktiver als im ordentlichen Vollzug». 23 Stunden allein in einer Zelle seien schwierig auszuhalten, die nationale Kommission erachte einen Einschluss von über 20 Stunden als grundrechtswidrig. Die Kantonsrätin will sich nicht mit dem Verweis auf das geplante Untersuchungszentrum in Winkeln abfinden, zumal für die Notrufzentrale jetzt eine Übergangslösung angepeilt wird.
Generalsekretär Arta räumt ein, dass die U-Haftverhältnisse «schwergewichtig auf die Verdunkelungsgefahr und also Isolation ausgerichtet» seien. Lockerungen und Austauschorte bei Wegfall dieser Gefahr seien «richtige Tendenzen», doch in den Stadtgefängnissen derzeit nicht möglich. Entsprechend hoch sei der Handlungsdruck für das neue Sicherheitszentrum, versichert Arta. Die Ersatz-Notrufzentrale werde demnach «nicht auf Dauer», sondern nur bis zum Zeitraum 2030 eingerichtet.