Interview
«Es muss bei Fantasien bleiben»: Ostschweizer Psychologin über Präventionstherapien für Pädophile

Das Forensische Institut Ostschweiz (Forio) bietet eine Präventionstherapie für Pädophile an. Teilnehmen können Personen, die eine Straftat begangenen haben, und solche, die befürchten, eine zu begehen. Geschäftsführerin Monika Egli-Alge über Therapieziele, Deliktverhinderung und die Rolle des Umfelds.

Katharina Brenner
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Eine Therapie soll Pädophilen helfen, mit ihrer Sexualität umzugehen. Das oberste Ziel dabei ist Delikte zu verhindern. (Bild: Keystone)

Eine Therapie soll Pädophilen helfen, mit ihrer Sexualität umzugehen. Das oberste Ziel dabei ist Delikte zu verhindern. (Bild: Keystone)

Was muss passieren, dass aus Pädophilen keine Täter werden?

Monika Egli-Alge: Man muss unterscheiden zwischen sexuellen Handlungen mit Kindern und dem Konsum von Kinderpornografie. Das sind unterschiedliche Delikte und unterschiedliche Tätergruppen.

Inwiefern?

Wer Kinderpornografie konsumiert, muss nicht pädophil sein. Es kann sich auch um eine Dosissteigerung handeln: Jemand schaut viele Pornos und braucht immer härtere Bilder. Irgendwann landet er bei solchen mit Kindern. Aber auch bei den Tätern, die sexuelle Handlungen mit Kindern begehen, ist über die Hälfte nicht pädophil. Für sie geht es um Ersatzhandlungen, meistens um Macht. Pädophile hingegen haben ihre sexuelle Präferenz auf den kindlichen Körper ausgerichtet.

«Pädophile sind Meister darin, ein Doppelleben zu führen», sagt die Psychologin Monika Egli-Alge. (Bild: Reto Martin)

«Pädophile sind Meister darin, ein Doppelleben zu führen», sagt die Psychologin Monika Egli-Alge. (Bild: Reto Martin)

Woher kommt diese Neigung?

Das wissen wir nicht. So wie viele heterosexuell sind, sind andere pädophil.

Pädophile fühlen sich also ein Leben lang zu Kindern hingezogen?

Ja. Sie wissen es bereits früh. Während es mit 14 noch normal ist, sich zu etwas Jüngeren hingezogen zu fühlen, ändert sich das bald. Die sexuelle Präferenz lässt sich aber nicht beeinflussen. Deshalb müssen Betroffene lernen, mit ihrer Sexualität umzugehen. Das oberste Ziel ist, Delikte zu verhindern.

Wie kann das gelingen?

Pädophile müssen ihre individuellen Risikosituationen genau kennen. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass der Computer in der Stube steht, wo sich auch die Partnerin aufhält. Dadurch sinkt die Versuchung. Selbstkontrolle, aber auch Fremdkontrolle sind wichtig.

Helfen Medikamente?

Medikamente können unterstützen und bei der Verhaltenskontrolle mithelfen. Heilen im medizinischen Sinne können auch Medikamente nicht.

Wie gehen Sie bei der Therapie vor?

Wir führen viele Gespräche. Unsere Klienten müssen schonungslos offen sein. Die Therapie hat drei Ziele. Deliktverhinderung, die Akzeptanz, dass die sexuelle Präferenz unveränderbar ist, sowie Bewältigungsstrategien, um ein Leben mit unterdrückter Sexualität führen zu können.

Wie sehen diese Strategien aus?

Das ist sehr individuell. Das Ziel muss sein, dass es bei Fantasien bleibt. Fantasien sind erlaubt. Einer unserer Klienten hatte eine gleichaltrige, zierliche Partnerin. Ihr Körper hat ihn erregt, aber um zum Orgasmus zu kommen, musste er an Mädchen denken.

Wusste seine Frau davon?

Nein. Und das hat ihn so sehr belastet, dass er depressiv und suizidal wurde. Er hat sich für seine Fantasien extrem geschämt und musste lernen, seine sexuelle Präferenz zu akzeptieren. Das ist mit viel Trauerarbeit verbunden.

Welche Rolle spielt das Umfeld?

Ein Teil des engen Umfelds muss es wissen. Dann können Risikosituationen eher verhindert werden. Es ist wichtig, dass Pädophile Freundschaften pflegen, dass ihr Job sie erfüllt, dass sie ein gutes Leben führen. Dann ist die Gefahr geringer, dass sie einen Ausgleich in ihrer Sexualität suchen.

Forio existiert seit 2006. Wie viele Personen haben Sie seither behandelt?

Etwa 120 Behandlungen sind abgeschlossen. Aktuell betreuen wir 70 Personen.

Sind auch Frauen darunter?

In all den Jahren haben wir zwei Frauen behandelt. Wir gehen bei pädophilen Frauen von einer hohen Dunkelziffer aus. Die Probleme und die Therapie sind die gleichen wie bei Männern.

Wer lässt sich bei Ihnen behandeln?

Der Grossteil kommt, weil die Therapie nach einer Straftat verordnet wurde. Es wenden sich aber auch Betroffene an uns, die sagen, dass sie noch keine Straftat begangen haben. Und solche, die bereits Kinderpornografie konsumiert haben.

Zeigen Sie diese Personen an?

Nein. Wir haben keine Anzeigepflicht, bieten bei einer Selbstanzeige aber Unterstützung an.

Haben Sie einen Rat für Angehörige und Kollegen, wie sie eine pädophile Neigung erkennen und helfen können?

Pädophile sind Meister darin, ein Doppelleben zu führen. Das zeigt auch der Fall Steinach: ein Mann mit Verantwortung mitten in der Gesellschaft. Für Pädophilie gibt es keine Persönlichkeitsmerkmale. Sie kann Personen egal welchen Alters, Geschlechts oder Bildung treffen.

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