Startseite
Ostschweiz
Eine Arbeitsgemeinschaft will die direkte Bahnverbindung von Winterthur über Bülach und Koblenz nach Basel reanimieren. Dies könnte auch für die Ostschweiz interessant sein. Diese Region setzt auch auf die Elektrifizierung der deutschen Rheinstrecke.
Dies ist ein Artikel der «Ostschweiz am Sonntag». Die ganz Ausgabe finden Sie hier.
«Ich habe den Stein ins Wasser geworfen.» Das sagt Pierre-François Bocion aus Stein am Rhein. Mit diesem Stein will er einer Idee Schub verleihen. Und zwar der einer direkten Schnellzugsverbindung von Winterthur über Bülach, Koblenz und Stein (AG) nach Basel. Diese Direktverbindung dem Rhein entlang bestand bis 1990, vier Jahre später wurde der Regionalzug eingestellt. «In meinem Berufsleben bin ich häufig mit diesen Zügen gefahren», sagt Bocion. Damals hiessen sie Eilzüge. Der Pensionär wohnte früher in Winterthur, war für die FDP in der Stadtpolitik aktiv. Heute malt er, bezeichnet sich als «kreativen Menschen», als «Ideengeber».
«Man könnte ja klein anfangen», sagt Bocion. Mit ein paar Zügen pro Tag. Als Anbieter sieht er beispielsweise die Regionalbahn Thurbo, die mit leichten Zügen einen grossen Teil des Ostschweizer Regionalverkehrs bestreitet.
Um die Bahnverbindung wiederzubeleben, hat er die Arbeitsgemeinschaft Winterthur-Basel (Wiba) mitinitiiert. «Es ist doch unsinnig, von Frauenfeld oder Winterthur über Zürich und Olten nach Basel zu fahren», sagt Bocion. Als Gründe führt er den stark befahrenen Korridor sowie die lange Fahrzeit an. Seiner Meinung nach ist die Fahrzeit dem Rhein entlang in rund einer Stunde machbar. Heute dauert die Fahrt zwischen der zweitgrössten Zürcher Stadt an der Rheinmetropole 84 Minuten. Mit Umsteigen in Zürich.
Auch für die Ostschweiz, namentlich für Frauenfeld und St.Gallen, würde die Fahrzeit dem Rhein entlang beschleunigt. Heute dauert die Reise von Frauenfeld nach Basel zwischen 101 Minuten – mit Umsteigen – und 124 Minuten ohne Umsteigen. Ab dem Fahrplanwechsel verkürzt sich die Fahrzeit der schnellsten Verbindung um drei Minuten.
Die Ringe, die der Stein im Wasser ausgelöst hat, wurden bereits von der Politik gesehen. SP-Nationalrat Thomas Hardegger aus Rümlang hat Ende September Fragen an Bundesrätin Doris Leuthard eingereicht. Damit will er in Erfahrung bringen, ob die «Linie Winterthur–Basel Bestandteil der Überlegung bei der Entwicklung des IC-und IR-Netzes» sei. Bocion geht davon aus, dass keine grossen Investitionen in die Strecke notwendig wären. «Die Gleise und die Signalisationen sind meines Wissens bereits vorhanden.» Dies will Nationalrat Hardegger beim Bund abklären. Er fragt im Vorstoss, ob die Überlegungen richtig seien, dass für die Aufnahme der Verbindung kaum Investitionen in die Infrastruktur notwendig seien und mit wenigen Zügen der Betrieb aufgenommen werden könnte.
Hardegger will vom Bundesrat auch erfahren, ob eine stündliche Verbindung von der Ostschweiz nach Basel via Winterthur und Bülach die stark ausgelastete Linie Zürich–Basel über (Heitersberg-)Olten entlasten könnte. Auch die Kostenfrage stellt er. Die Antwort des Bundesrates steht noch aus. Sie wird wohl erst von Leuthards Nachfolgerin oder Nachfolger kommen.
Pierre-François Bocions Ziel ist es vorerst, dass die Ringe im Wasser von vielen gesehen werden. Er hat beispielsweise SBB-Chef Andreas Meyer eine E-Mail geschickt, ebenso den Verantwortlichen für den öffentlichen Verkehr in den Kantonen. So hat auch der Thurgauer Regierungsrat Walter Schönholzer eine Nachricht erhalten. «Wir haben von der Idee gehört», sagt Urs Zingg von der kantonalen Abteilung öffentlicher Verkehr. Zingg geht davon aus, dass die Nachfrage für eine solche Verbindung aus dem Thurgau nicht allzu gross wäre. «Unsere Hauptpendlerströme gehen nach Winterthur und Zürich, im Osten nach St.Gallen.» Eine allfällige Mitarbeit in einer interkantonalen Arbeitsgruppe würde man aber prüfen.
Wie die «Aargauer Zeitung» berichtete, kommt die Idee primär bei Vertretern der Regionsgemeinden gut an. Beim Kanton Aargau erachtet man sie allerdings «als nicht realistisch». So sei die Strecke nur einspurig und nur mit wenigen Kreuzungsstellen ausgestattet.
Für die Ostschweiz könnten sich auch auf der deutschen Rheinseite Möglichkeiten ergeben. Und zwar, wenn die Hochrheinstrecke elektrifiziert ist. Heute fahren auf der Strecke von Schaffhausen nach Basel Dieselzüge. Deshalb sind grenzüberschreitende Verbindungen schwierig, die Fahrzeuge müssen regelmässig betankt werden. Die Elektrifizierung der rund 75 Kilometer langen Strecke ist ein lang gehegter Wunsch – in der Region am Hochrhein glaubte man aber schon fast nicht mehr an deren Realisierung.
Seit diesem Jahr geniesst die Elektrifizierung allerdings beim Bundesland Baden-Württemberg hohe Priorität. Verkehrsminister Winfried Hermann hat einen ehrgeizigen Plan aufgegleist. Mit der «Elektrifizierungskonzeption für das Schienennetz in Baden-Württemberg» soll in zehn Jahren der Grossteil des Schienennetzes unter Strom gestellt sein. Der aktuelle Elektrifizierungsstand beträgt 61 Prozent. Bagger sind am Hochrhein zwar noch keine aufgefahren. Wie auf der Webseite der Deutschen Bahn zu lesen ist, wird derzeit die Ausschreibung der Entwurfs- und Genehmigungsplanung vorbereitet.
Wenn dereinst Strom durch die Oberleitungen der Hochrheinstrecke fliesst, wird es für die Ostschweiz interessant. Die Elektrifizierung schafft die Voraussetzung für durchgehende Verbindungen über die Grenze. So könnte der Regioexpress St. Gallen–Romanshorn–Konstanz über Singen und Schaffhausen bis nach Basel verlängert werden. Eine Studie im Auftrag der Ostschweizer Kantone hatte die Machbarkeit bestätigt. Damit würde sich zum Beispiel die Fahrzeit von Kreuzlingen an die Rheinmetropole um mehr als eine halbe Stunde verkürzen.
Die Elektrifizierung der Hochrheinstrecke scheint bis 2025 realistisch zu sein. Kostenschätzungen gehen von rund 160 Millionen Euro aus. Das Interesse der Schweiz zeigt sich auch daran, dass sie sich finanziell beteiligten könnte. Im Ausbauschritt 2035, der noch dieses Jahr ins Parlament kommen sollte, ist die Mitfinanzierung vorgesehen. Insgesamt sollen in den nächsten 17 Jahren 11,5 Millionen Franken für Infrastrukturmassnahmen investiert werden – der allergrösste Teil fürs Schweizer Schienennetz.
Beide Projekte sind zum jetzigen Zeitpunkt noch Zukunftsmusik. Bis sie Realität sind, werden noch viele Steine in den Rhein geworfen.