Mehr als die Hälfte der Professoren der Universität St. Gallen hat eine Nebenbeschäftigung. Seit drei Jahren müssen sie ihre externen Mandate auf der Forschungsplattform Alexandria angeben. Eine Übersicht.
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Die Universität St. Gallen ist stolz auf ihre Praxisnähe. Doch seit Monaten steht sie wegen der Nebentätigkeiten ihrer Professoren in der Kritik. Dem HSG-Professor und ehemaligen Raiffeisen-Verwaltungsratspräsidenten Johannes Rüegg-Stürm wirft die Finanzmarktaufsicht vor, er habe seine Aufsichtspflichten bei der Bank vernachlässigt. Und diese Woche geriet auch noch Rektor Thomas Bieger wegen seines Verwaltungsratsmandats bei der Jungfraubahn in die Schlagzeilen.
Bereits im Juni fragten die SP-Kantonsräte Max Lemmenmeier und Peter Hartmeier die St. Galler Regierung, ob es «eine Übersicht über die Nebentätigkeiten in Verwaltungsräten und die daraus erwachsenden Einkünfte» gebe. Die Professorinnen und Professoren müssen seit 2015 ihre Nebentätigkeiten auf der Forschungsplattform Alexandria offenlegen. Doch die Angaben liegen auf Hunderten Profilseiten verteilt. Nun hat die «Ostschweiz am Sonntag» eine Übersicht der Nebenbeschäftigungen der 96 ordentlichen Professorinnen und Professoren erstellt. Das Ergebnis: 53 Prozent dieser Professoren gehen neben ihrer Lehr- und Forschungstätigkeit an der HSG einer oder mehreren Nebenbeschäftigungen nach. Besonders verbreitet sind Nebenjobs in den betriebswirtschaftlichen Lehrbereichen, wie der School of Management. In den sozial- und geisteswissenschaftlichen Fächern hingegen haben nur wenige Professoren eine externe Tätigkeit angegeben. Nicht in die Analyse eingeflossen sind assoziierte Professoren, Assistenzprofessoren sowie ständige Dozierende, die ihre Nebenbeschäftigungen ebenfalls deklarieren müssen.
Die Nebentätigkeiten würden alle drei Jahre zuhanden des Rektors erhoben und von ihm überprüft, teilt HSG-Mediensprecher Jürg Roggenbauch auf Anfrage mit. «Es wird dazu aber keine zentrale Statistik geführt.» Zudem müssen die Professoren die Angaben auf der HSG-Website Alexandria jeweils per Semesterende aktualisieren. Dabei setzt die Universität offenbar weniger auf Kontrolle denn auf Eigenverantwortung. Gemäss Informations- und Offenlegungsrichtlinien müssten die Professoren nämlich bei jeder Nebentätigkeit angeben, ob diese ehrenamtlich oder entgeltlich ist. Doch nicht alle Dozierenden kommen dieser Pflicht nach.
Das aktuelle HSG-Reglement für Nebentätigkeiten legt fest, dass Dozierende Nebentätigkeiten mit einem Aufwand von mehr als einem halben Tag pro Woche sowie Verwaltungsratsmandate dem Rektor melden müssen. Bei einem Beschäftigungsgrad von 100 Prozent dürfen sie maximal einen Tag pro Woche externen Beschäftigungen nachgehen. Eine Bewilligungspflicht besteht für Verwaltungsratspräsidien und «Ämter mit grosser Öffentlichkeitswirkung». Die Nebentätigkeiten dürften nicht zu einem Interessenkonflikt mit der Universität führen oder deren Reputation schaden, schreibt Roggenbauch. «Dozierende dürfen also zum Beispiel nicht eine eigene Managementschule eröffnen, die das Angebot der HSG direkt konkurriert.» Einkünfte aus Nebentätigkeiten unterliegen laut Roggenbauch keiner Abgabepflicht an die Universität. Hingegen müssten Ressourcen, die im Rahmen von Nebentätigkeiten genutzt werden, abgegolten werden. Diese Praxis ist liberaler als an anderen Universitäten.
Als Reaktion auf die aktuellen Vorkommnisse soll nun das Reglement für Nebentätigkeiten überprüft werden, wie der St. Galler Bildungsdirektor und Präsident des Universitätsrates, Stefan Kölliker, vergangene Woche ankündigte. Eine erste mögliche Änderung ist bereits durchgesickert. So sei der Universitätsrat zum Schluss gekommen, dass der künftige Rektor oder die künftige Rektorin keiner Nebenbeschäftigung nachgehen dürfe, sagte Kölliker am Freitag dem SRF-Regionaljournal.
Dass externe Mandate heikel sind, ist allerdings keine neue Erkenntnis. Bereits 2009 veröffentlichte die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) eine umfangreiche Untersuchung der Nebentätigkeiten von Professoren an Schweizer Universitäten. Sie kam zum Schluss, dass die Hauptmotivation für die Übernahme externer Mandate oft im «zu erwartenden Zusatzverdienst» liege. Die EFK hielt zudem fest, dass Universitäten die positiven Elemente der Nebenbeschäftigungen höher einschätzen als die Risiken. Zu den unterschätzten Risiken zählte sie unter anderem die Vernachlässigung der Dienstpflicht oder der Einsatz von Personal und Infrastruktur der Universitäten ohne entsprechende Abgeltung. Auch einen Reputationsverlust der Hochschulen oder Interessenkonflikte sah sie als mögliche Gefahren.
Um solche Interessenkonflikte zu vermeiden, gäbe es gemäss EFK ein einfaches Mittel. «Fast alle privaten Nebentätigkeiten könnte man als Drittmittelaufträge abwickeln», sagt Laurent Crémieux, der Autor der EFK-Studie. So könnten die Universitäten ihre engen Beziehungen zur Privatwirtschaft weiterhin pflegen. Im Gegensatz zu privaten Mandaten würde bei Drittmittelaufträgen ein Vertrag mit einer Universität oder einem Forschungsinstitut abgeschlossen. «Dadurch wäre eine bessere Aufsicht gewährleistet», sagt Crémieux. Zudem würden dadurch die Einnahmen aus den Aufträgen zurück an die Universitäten und in die Forschung fliessen.
Die Finanzkontrolle geht zwar nicht so weit, dass sie einen kompletten Verzicht auf Verwaltungsratsmandate fordern würde. Allerdings wollte sie Definitionen von Nebentätigkeiten und die Überprüfbarkeit schweizweit vereinheitlichen. Doch das ist ein schwieriges Unterfangen, denn die EFK kann nur Empfehlungen aussprechen. «Obschon die Universitäten Bundesunterstützungen bekommen, liegen sie primär in der Kompetenz der Kantone», betont Crémieux.
Transparenz Seit Anfang 2017 legt die Universität Zürich in einem Online-Register die Interessenbindungen ihrer Professorinnen und Professoren offen. Darin macht sie transparent, in welchen Wissenschaftsgremien oder Verwaltungsräten sich diese ausserhalb der normalen Lehr- und Forschungstätigkeit engagieren.
Dieser Schritt hat zwar länger gedauert als an der Universität St. Gallen, wo die Nebentätigkeiten der Professoren seit Anfang 2015 veröffentlicht werden. Dafür ist die Umsetzung konsequenter als an der HSG, welche die Angaben zu den Nebentätigkeiten in ihre Forschungsplattform integriert hat. Das Zürcher Register beschränkt sich auf die Darstellung der Interessenbindungen und ist dadurch übersichtlicher und einfacher zu bedienen.
Die Universität Zürich bewegte sich allerdings erst auf politischen Druck hin. Im Oktober 2015 forderte das Zürcher Kantonsparlament die Offenlegung universitärer Interessenbindungen. Auslöser dafür war das umstrittene 100-Millionen-Sponsoring der UBS an der Universität Zürich. In der Folge kam es zu einer Debatte über die Unabhängigkeit von Forschung und Lehre.
Die Richtlinien für Nebenbeschäftigungen an der Uni Zürich sind vergleichbar mit jenen an der HSG. So sind externe Tätigkeiten zulässig, wenn sie «im Jahresmittel einen Tag pro Kalenderwoche nicht überschreiten». Eine Bewilligung brauchen Professoren, wenn die gesamten Nebenbeschäftigungen im Jahresdurchschnitt mehr als einen halben Tag pro Kalenderwoche beanspruchen. Und Verwaltungsratsmandate, eine Konsulententätigkeit oder ein «Mandat mit einer erheblichen Tragweite politischer Natur» muss die Universitätsleitung in jedem Fall bewilligen.
In einem Punkt ist die Universität Zürich allerdings restriktiver als die HSG: Professoren müssen einen Teil ihrer zusätzlichen Honorare abliefern. «Für Nettoeinnahmen aus Nebenbeschäftigungen, die den Freibetrag von 50'000 Franken übersteigen, gilt ein Abgabesatz von zehn Prozent», betont Kurt Bodenmüller, Mediensprecher der Universität Zürich.
An der Fachhochschule St. Gallen (FHSG) seien Nebentätigkeiten im Sinne der Praxisorientierung in vielen Fällen gewünscht, sagt Rektor Sebastian Wörwag. Deshalb werde in manchen Teilbereichen wie der Architektur oder Sozialen Arbeit auch eine Teilzeitkultur gelebt. Allerdings dürfe der Beschäftigungsgrad über alle Arbeitgeber 110 Prozent nicht übersteigen. Angehörige der FHSG müssen alle ihre Nebentätigkeiten dem Rektor oder der Fachbereichsleitung unaufgefordert mitteilen. Diese prüfen, ob die Art der Tätigkeit mit den Interessen um den Ruf der FHSG zu vereinbaren ist. «Es findet in jedem Fall eine spezifische Einzelfallprüfung statt», so Wörwag. Die FHSG verfüge über einen Code of Conduct, einen internen Verhaltenskodex, der für alle Mitarbeitenden gültig sei. Bewilligung für Nebenbeschäftigungen, die dagegen verstossen, könnten wieder entzogen werden. Eine Abgabepflicht für Honorare besteht hingegen nicht, sofern die Nebentätigkeiten ausserhalb der vereinbarten Arbeitszeit erfolgen und keine Tätigkeiten der FHSG konkurriert werden. (mge)