Nach jahrelangem Hin und Her beschliesst das Bundesparlament, gegen den Einkaufstourismus im grenznahen Ausland vorzugehen: Nach dem Nationalrat hat auch der Ständerat zwei Ostschweizer Standesinitiativen zugestimmt.
Die Ostschweiz ist mit der Geduld allmählich am Ende: Das wurde deutlich, als der Ständerat am Dienstag einmal mehr über den Einkaufstourismus diskutierte. Die Ausgangslage ist simpel: Das Einkaufen im nahen Ausland ist gut und praktisch für die Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten, aber schlecht für den hiesigen Detailhandel und die Staatskasse. Nur: Ob der Bund dagegen überhaupt etwas unternehmen kann oder soll, ist in Bern schon lange umstritten. Zwei Standesinitiativen aus den Kantonen St.Gallen und Thurgau, welche die Aufhebung der 300-Franken-Freigrenze bei der Mehrwertsteuer fordern, scheiterten vor zwei Jahren im Ständerat, wurden dann aber im Nationalrat angenommen.
Jetzt schlug im Ständerat nach jahrelangem Hin und Her die Stunde der Wahrheit. Wieder lagen die beiden Kantonsinitiativen auf dem Tisch, ausserdem eine Motion aus der Finanzkommission des Nationalrats mit einer ähnlichen Absicht. Die Wirtschaftskommission des Ständerats hatte alle drei Vorstösse zur Ablehnung empfohlen. Ostschweizer Parlamentsmitglieder kämpften hingegen für ein Ja. Brigitte Häberli-Koller (Die Mitte/TG) betonte die regionalpolitische Bedeutung des Themas:
«Für die Ostschweiz als Grenzregion ist die Bekämpfung des Einkaufstourismus ebenso wichtig wie beispielsweise für die Bergkantone die Regulierung des Wolfs oder die Stützung der Wasserzinsen.»
Im Ausland einzukaufen, ist für Schweizer nur schon wegen der grossen Preisunterschiede attraktiv. Es könne daher nicht sein, dass der Einkaufstourismus darüber hinaus auch noch steuerlich gefördert werde, sagte Häberli. Nebst dem Milliardenschaden für das einheimische Gewerbe seien auch die Steuerausfälle für den Staat massiv – über 600 Millionen Franken pro Jahr. Häberli wandte sich auch gegen das Argument des Bundesrats, eine Anpassung der Mehrwertsteuererhebung an der Grenze sei zu aufwendig und zu kompliziert. «Im Jahr 2021 verfügen wir über die technischen Möglichkeiten dazu.» Die Verzollungsapp «Quickzoll» funktioniere gut.
Auch Benedikt Würth (Die Mitte/SG) beantragte die Zustimmung zu den Vorstössen – und rief die finanziellen Dimensionen des Einkaufstourismus in Erinnerung: «Jährlich fliessen zehn Milliarden Franken Kaufkraft von der Schweiz ins Ausland ab.» Zu den negativen Folgen für das Schweizer Gewerbe kämen weitere Nachteile:
«An den Grenzübergängen haben wir ein permanentes Verkehrschaos, und die vielen Fahrten ins Ausland belasten die Umwelt unnötig.»
Die aktuelle steuerliche Ungleichbehandlung bei Einkäufen im Inland und Ausland sei massiv, sagte Würth. Wer im Inland einkauft, zahlt Mehrwertsteuer, die Einkaufstouristen aber profitieren von der Freigrenze. «Die Schweiz hat um sich herum eine zollfreie Zone geschaffen», so Würth. Er räumte ein, die vorgeschlagenen Massnahmen, etwa die Senkung oder Aufhebung der Wertfreigrenze, seien keine «Wunderwaffen» gegen den Einkaufstourismus. Dafür sei die Preisdifferenz schlicht zu gross, das Einkaufen im Ausland werde weiterhin attraktiv sein. «Aber einen gewissen Dämpfungseffekt können wir erwarten. Wie stark dieser wirkt, wird sich erst in der Praxis zeigen.»
Als Gegenbeispiel zu den administrativen Problemen, die der Bund befürchtet, nannte Würth den Grenzverkehr zwischen der EU und Grossbritannien, der nach dem Brexit neu geregelt wurde: «Es sind Schweizer Firmen, welche die Technologie dazu liefern! Da können wir doch nicht behaupten, es sei unmöglich, eine solche Lösung auch für unseren eigenen Warenverkehr zu finden.» Im Übrigen sei der Bundesrat gerade dabei, die Steuerpraxis für Online-Einkäufe im Ausland anzupassen. Zugleich bei den physischen Einkäufen nichts zu tun, sei inkonsequent.
Auch Jakob Stark (SVP/TG) verlangte, der Ständerat müsse nun endlich einen Grundsatzentscheid zum Einkaufstourismus fällen. Die Details der Massnahmen könnten danach geklärt werden, aber: «Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.» Es gehe um die Existenz von Läden und Arbeitsplätzen in der Schweiz.
«Es ist ja schön für die SBB, wenn die Züge von Luzern nach Konstanz hervorragend besetzt sind, aber den Einkaufstourismus staatlich zu fördern, ist falsch.»
Finanzminister Ueli Maurer (SVP) verteidigte die Position des Bundesrates: «Wir glauben nach wie vor nicht, dass sich der Einkaufstourismus mit Massnahmen bei der Mehrwertsteuer wesentlich reduzieren lässt.» Gleichzeitig sei es eine Tatsache, dass eine Anpassung der Wertfreigrenze mit entsprechenden Folgen für die Verzollung der Einkäufe sehr kompliziert werde.
«Wir haben mit den Nachbarländern versucht, eine bilaterale Lösung zu finden, aber diese Gespräche sind gescheitert.»
In Baden-Württemberg beispielsweise habe die Politik natürlich überhaupt kein Interesse daran, die Hürden für Schweizer Einkaufstouristen zu erhöhen.
Maurer bestätigte, dass die App «Quickzoll» funktioniere. Doch damit sei das Problem nicht gelöst. Der Bundesrat nimmt an, dass der Grenzverkehr sogar noch zunehmen könnte, falls die Limite für zollfreie Einkäufe gesenkt würde. «Die Leute kaufen dann einfach noch häufiger im Ausland ein, dafür für kleinere Beträge. Oder der Schmuggel wird deutlich zunehmen, weil Einkäufe gar nicht erst deklariert werden.» Gleichzeitig sei es für die Zollverwaltung unmöglich, die Tausenden von Touristen flächendeckend zu kontrollieren und jeden Kofferraum zu öffnen. Wenn das Parlament darauf bestehe, werde der Bundesrat natürlich nochmals anschauen und mögliche Lösungen prüfen. «Aber eigentlich ist das unmöglich – eine Mission Impossible.»
Dennoch: Am Ende setzten sich die Ostschweizer durch. Der Ständerat stimmte den drei Vorstössen überraschend deutlich zu. Die St.Galler Initiative wurde mit 28 zu 10 Stimmen bei 5 Enthaltungen angenommen, die Thurgauer Initiative mit 28 zu 11 Stimmen bei 4 Enthaltungen und die Motion der Finanzkommission mit 27 zu 13 bei 3 Enthaltungen. Damit muss der Bundesrat nun zumindest einen konkreten Versuch starten, den Einkaufstourismus einzudämmen.
Ich finde das Problem wird vom völlig falschen Ansatz angegangen, zumal ich Ueli Maurer zustimme,was die realistische Umsetzung betrifft. Die Politiker sollten lieber dafür sorgen, dass die Preise für diverse Produkte herunterkommen. Es darf nicht sein, dass wir in der Schweiz zum Teil bis zu 50% mehr zahlen müssen. Besonders stossend ist dabei auch, dass gewisse Schweizer Produkte im Ausland billiger sind wie in der Schweiz selbst.
Man jubelt die Einheit der Bodenseeregion hoch, will von der EU nichts wissen und schottet sich ab. Haben wir wirklich keine echten Probleme zu lösen ?