16 500 Franken Schadenersatz für die ehemalige Lehrtochter. Dazu hat das Bezirksgericht Kreuzlingen ein Thurgauer Unternehmen verpflichtet. Die junge Frau hat gegen den Betrieb geklagt. Sie sei dort nicht richtig ausgebildet worden.
KREUZLINGEN. Drei Monate vor der praktischen Lehrabschlussprüfung zieht die angehende Köchin die Notbremse. Sie verlässt ihren Ausbildungsbetrieb, weil sie dort nicht richtig kochen lerne. Ihre Aufgaben hätten sich vor allem auf Gemüse rüsten und Küche putzen beschränkt. Sie hat Angst, die Prüfung nicht zu schaffen. In einer Art «Crashkurs» holt sie das Versäumte in einem anderen Restaurant nach. Es klappt. In der Theorie ist sie gut, die praktische Prüfung besteht sie dagegen nur mit Müh und Not. Sie habe kaum Chancen, als Köchin eine Stelle zu finden, sagt die 21-Jährige.
Die Frau verklagt ihren ehemaligen Ausbildungsbetrieb auf Schadenersatz. Konkret verlangt sie, die Firma müsse ihr den Lohnausfall für die Monate bezahlen, in denen sie sich intensiv auf den Lehrabschluss vorbereitet habe. Dazu die Nachhilfe, die sie gebraucht habe, um die Prüfung zu bestehen. Das Bezirksgericht Kreuzlingen findet, die ehemalige Lehrtochter habe richtig gehandelt. Es sei keine Panikreaktion gewesen, als sie ihr Lehrverhältnis gekündigt und sich bei einem anderen Koch Hilfe geholt habe. Sondern «die letzte Möglichkeit, doch noch zu versuchen, die Lehrabschlussprüfung zu bestehen». Das Gericht verpflichtet deshalb den Lehrbetrieb zur Zahlung von 16 466 Franken Schadenersatz.
Der Ausbildungsbetrieb beschreibt die Frau als «schwachen Lehrling». Eine Anlehre wäre für sie wohl besser geeignet gewesen. Sie habe sich wenn immer möglich vor Aufgaben gedrückt. Oft sei sie krank gewesen, auffällig antriebslos und gleichgültig. Sie habe sich wohl eine Art Übungsküche vorgestellt statt eines funktionierenden Tagesablaufs, moniert der Lehrbetrieb. Für diese Anschuldigungen findet das Gericht keine Beweise. Die Frau sei in der Berufsschule zwar keine Überfliegerin, aber doch eine gute und motivierte Schülerin gewesen. Nicht einmal der Betrieb selber habe während der Lehrzeit über ihre mangelnde Motivation geklagt. Im Gegenteil: Im Leistungsbericht werde der Lehrtochter «gutes», im 3. und 5. Semester sogar «sehr gutes» Interesse attestiert. In den Unterlagen stehe kein einziges «nicht erfüllt» oder «ungenügend». Der Lehrbetrieb beklagte sich auch in keinem Schriftstück über häufige Abwesenheiten oder fehlendes Engagement.
Die Schuld an der missratenen Ausbildung liegt nach Ansicht des Gerichts beim Ausbildungsbetrieb. Der damalige Küchenchef und Berufsbildner sei «überlastet und überfordert» gewesen. Denn es habe in dieser Zeit ein personeller Engpass in der Küche geherrscht. Erschwerend kam der neue Lehrplan hinzu, der bei Betrieben und Lehrlingen gewisse Unsicherheiten ausgelöst habe. Der Ausbildungsbetrieb sagt, wäre die Lehrtochter geblieben, hätte man sie gezielt auf die Prüfung vorbereitet. Das Gericht bezweifelt dies, habe man sie doch für unfähig gehalten. Die Frau sei deshalb berechtigt gewesen, den Lehrvertrag aufzulösen.
Der Lehrbetrieb hat noch nicht entschieden, ob er den Beschluss weiterziehen wird. «Mit den Grundlagen des Entscheids sind wir nicht einverstanden und sehen das auch heute noch anders», sagt der Geschäftsführer. Man werde das Ganze jetzt von einem Rechtsprofessor überprüfen lassen. Der Geschäftsführer befürchtet, der Entscheid werde Konsequenzen auf die Ausbildung haben. «Viele Betriebe überlegen sich doch jetzt, ob sie einen schwachen Lehrling überhaupt noch einstellen.»
Auch Ruedi Bartel, der Präsident von Gastro Thurgau, sieht die Gefahr, dass weniger Betriebe ausbilden. «Die wollen dieses Risiko nicht eingehen.» Lehrlinge auszubilden sei ohnehin schwieriger geworden. «Die Anspruchshaltung der Jugendlichen ist gestiegen.» Bartel hält es für bedenklich, dass ein Lehrling seinen Ausbildungsbetrieb einklagt. «Wir können nur hoffen, dass es nicht Schule macht und andere Lehrlinge auch auf diese Idee kommen.» Bartel kennt die betroffene Lehrfirma. «Das ist kein schlechter Betrieb.» Gastro Thurgau wird auf den Entscheid nicht reagieren.
Franz Knupp, Leiter der Lehraufsicht, sieht die Sache anders. Er kann sich nicht vorstellen, dass der Gerichtsentscheid Betriebe von der Ausbildung abhält. Die Ausbildner würden aber stärker sensibilisiert. «Sie schauen bei den gesetzlichen Vorgaben genauer hin.»