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Ostschweiz
Wenn Canisius Braun im Mai 2020 als Staatssekretär zurücktritt, könnte die CVP-Ära in einer zentralen kantonalen Position vorbei sein. Erste Namen kursieren bereits. Aber es gibt noch zahlreiche offene Fragen.
Auch das noch: Nach dem Wahlhalbjahr mit Nationalrats- und Ständeratswahlen im Oktober und Kantons- und Regierungsratswahlen im März steht im Kanton St.Gallen eine weitere Wahl an. Unverhofft, überraschend, das Timing gewiss zufällig, aber ziemlich brisant: Staatssekretär Canisius Braun hat nach elf Jahren im Amt per Ende Mai gekündigt und sucht mit 60 Jahren eine neue Herausforderung. Freilich ist bei dieser Wahl nicht das Volk gefragt, wohl aber seine Vertreterinnen und Vertreter im Kantonsparlament.
Wenn es denn eine echte Wahl ist und nicht ein «Genehmigungsantrag», wie die SVP bei der letzten Wahl des Staatssekretärs schimpfte. Ein Hinweis darauf, dass nicht die Wahl, sondern die Auswahl im Vorfeld entscheidend ist. Es geht um nichts weniger als die wichtigste Schnittstelle im Kanton: Der Generalsekretär ist der Stabschef der Regierung und des Kantonsratspräsidiums. Er nimmt als Leiter der Staatskanzlei und der Parlamentsdienste mit beratender Stimme an den Sitzungen beider Gremien teil – eine mächtige Wissensträger-Position, wenn nicht die mächtigste, was den Entscheidungs- und Informationsfluss im Kanton angeht. Der Staatssekretär, der in allen andern Kantonen (und früher auch in St.Gallen) Staatsschreiber heisst, wird denn mitunter auch als achter Regierungsrat bezeichnet.
Noch ist die Nachfolge von Canisius Braun, zehn Monate vor seinem Rücktrittstermin, kein Thema in den Kantonsratsfraktionen. Das Wahlverfahren ist neuerdings nicht mehr Sache der Fraktionen, sondern der Regierung; sie muss nun das Prozedere und den Fahrplan klären. Allein der Zeitpunkt der Wahl wirft Fragen auf: Wartet man die kantonalen Wahlen vom 7. März ab und wählt erst in der Aprilsession? Oder überlässt man die Wahl des neuen Stabschefs in der Februarsession dem «alten» Parlament?
Offen auch die Frage, ob die Regierung einen Zweiervorschlag macht. Und die Art der Ausschreibung und allfällige Anpassungen der Funktion bezüglich einer oft geforderten klareren Trennung der Aufgaben von Regierung und Parlament lässt Spekulationen zu. Die Regierung hat vergangene Woche das Vorgehen bei der Nachfolgeplanung des Staatssekretärs erstmals diskutiert und will morgen Dienstag den zeitlichen Ablauf und das inhaltliche Programm festlegen, wie Regierungspräsidentin Heidi Hanselmann sagt. Obwohl alle Beteiligten die Bedeutung der Parteizugehörigkeit herunterspielen und die fachliche Qualität der gewählten Person betonen, dürften die politischen Farben die Wahl massgeblich prägen.
«Die Regierung tut gut daran, die Fraktionschefs im Auswahlverfahren frühzeitig und richtig auf den Weg zu nehmen», meint ein Kenner des Politbetriebs. «Sehr gespannt» auf den Wahlvorschlag sei die SVP, sagt Fraktionschef Michael Götte, dies im Hinblick auf die Aprilsession:
«Eine Wahl im Februar wäre absurd.»
Die wählerstärkste Partei, die 2008 das Auswahlverfahren kritisierte und den Vorschlag der Regierung ablehnte, wird ein gewichtiges Wort mitreden wollen. Vorrang habe aber der zweite Sitz in der Regierung, so Götte: «Wir werden uns nicht mit einem allfälligen Handel abfinden, wonach wir dafür den Sekretär erhielten.» Allerdings betont auch der SVP-Fraktionschef, dass die «Fachkenntnis vor der Parteipolitik» komme.
Dass die Wahl des Staatssekretärs 2020 ohne Nebengeräusche vonstatten gehen wird, ist aufgrund der Vorgängerwahlen nicht anzunehmen. 1999 musste die CVP ihren Wunschkandidaten Hans Peter Gerschwiler nach einer «skandalösen Schlammschlacht» (ihr damaliger Fraktionschef Franz Hagmann) durch Martin Gehrer ersetzen, der sich dann gegen den FDP-Kampfkandidaten Martin Rutishauser, Präsident des Versicherungsgerichts, durchsetzte. Und 2008 wurde Canisius Braun mit lediglich 55 Stimmen gewählt – zwei mehr als nötig.
Die Regierung hatte den 50-jährigen CVP-Mann aus Bern berufen, wo er Geschäftsführer der Stiftung für eidgenössische Zusammenarbeit und Sekretär der Konferenz der Kantonsregierungen war. Die SVP lehnte den Kandidaten geschlossen ab, weniger wegen der Person als wegen des Wahlverfahrens. Man möge nicht glauben, dass unter den 24 Bewerbungen – wovon sieben näher geprüft wurden – keine Person genügte, sagte SVP-Sprecher Karl Güntzel. Ob die SVP im Wahljahr 2020 einen valablen Kandidaten für den «achten Regierungsrat» stellen kann, bleibt dahingestellt.
Die kursierenden «Papabili» für die Nachfolge Brauns sind Kandidaten der bürgerlichen Konkurrenz: Favorisiert wird Vizestaatssekretär Benedikt van Spyk (FDP), zuständig für Recht und Legistik und St.Galler Stadtparlamentarier. Und fast ebenso schnell fällt der Name des zweiten Vizestaatssekretärs Lukas Schmucki (CVP), zuständig für die Parlamentsdienste. Der ehemalige Schweizer Gardist könnte ein Handicap haben: Seiner Frau, CVP-Kantonsrätin Yvonne Suter, werden Ambitionen für den Regierungsrat nachgesagt.
Die langjährig eingespurten Staatskanzlisten dürften nicht die einzigen Interessenten bleiben: Erfahrungsgemäss liebäugeln kantonale und kommunale höhere Sekretäre sowie Quereinsteiger aus Gerichten und anderen Institutionen mit dem begehrten Amt. Abgesehen davon könnte der Ruf nach der ersten St.Galler Staatssekretärin ertönen. Alles Spekulationen und ohnehin Sache des Wahlausschusses.
Man wähle die «bestgeeignete Person», sagt CVP-Fraktionschef Andreas Widmer. «Fachlichkeit und Persönlichkeit gehen vor. Es stellt sich deshalb für uns nicht die Frage, ob die CVP diesen Posten besetzen kann oder verlieren wird.» So oder ähnlich klingt es in allen Fraktionen, aber die Geschichte belehrt einen anders – in Erinnerung noch der publik gewordene «Kuhhandel», den die SP 1999 der FDP anbot: Sollte die FDP freiwillig auf die Rückeroberung des dritten Regierungssitzes verzichten, könne man über einen freisinnigen Staatssekretär reden.