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Ostschweiz
Bis Ende Monat können Versicherte ihre Krankenkasse wechseln. Die Unterschiede bei den Ostschweizer Prämien sind gross. Am wenigsten zahlen die Innerrhoder.
Im Herbst wird verglichen. Und je nach Ergebnis auch mal gewechselt. Bis Ende November können Versicherte ihre Krankenkasse kündigen und je nach Modell und Franchise Hunderte Franken pro Jahr sparen. Die Auswahl ist gross: Schweizweit bieten über 50 Krankenkassen insgesamt über 250'000 verschiedene Prämien an. Die tiefsten im ganzen Land hat auch im nächsten Jahr Appenzell Innerrhoden.
Doch wie in der restlichen Ostschweiz steigen die Krankenkassenprämien auch in Innerrhoden. Am stärksten ist der Anstieg in Ausserrhoden mit 2,4 Prozent, am geringsten im Kanton St.Gallen mit 0,9 Prozent. Im Thurgau beträgt das Plus 1,7 Prozent, in Innerrhoden 1,1 Prozent. Im nationalen Schnitt steigen die Prämien nächstes Jahr um gerade mal 0,2 Prozent, in sieben Kantonen sinken sie sogar.
Während sich Bundesrat Alain Berset anlässlich dieser Zahlen vor gut einem Monat über eine «sehr gute Nachricht» freute, äusserten der Ausserrhoder Gesundheitschef Bedauern und der Thurgauer Enttäuschung. Yves Noël Balmer (SP) lieferte für Ausserrhoden aber gleich eine Erklärung: Im Kanton lebten überdurchschnittlich viele ältere Menschen, welche die Angebote des Gesundheitswesens mehr nutzen würden als andere Altersgruppen.
Mit Unverständnis reagierte hingegen der Thurgauer Gesundheitschef Jakob Stark (SVP): In seinem Kanton seien die Prämien in den letzten fünf Jahren erheblich stärker angestiegen als die Bruttokosten. «Viele Versicherer konnten dadurch ihre Reserven weiter anhäufen. Wir sind enttäuscht, dass die Krankenversicherer diese Entwicklung nicht endlich im gebührenden Umfang an ihre Prämienzahler weitergeben.»
Warum sind die Prämien in der Ostschweiz so, wie sie sind? Eine einfache Antwort auf diese Frage ist unmöglich, sind sich Experten einig. Matthias Müller, Leiter Kommunikation des Krankenkassenverbands Santésuisse, listet eine Reihe von Faktoren für die Prämienberechnung auf: vergütete Leistungen, Risikoausgleich, Versichertenfluktuation, Verwaltungsaufwand, Finanzertrag und Reserven.
Um sein langfristiges Überleben zu sichern, sei es für den Krankenversicherer notwendig, eine Solvenzquote von über 100 Prozent aufzuweisen. Dann könne er auch nach einem schlechten Jahr die Leistungen der Versicherten bezahlen. Ist die Zahlungsfähigkeit zu tief, wird sie über Prämienerhöhungen aufgebessert.
«Das Hauptkriterium für die Prämienfestsetzung bleiben indes die Kosten», so Müller. «Mittelfristig entwickeln sich Prämien und Leistungen parallel.» Trotz Erhöhung im nächsten Jahr sind die Prämien in der Ostschweiz tiefer als im nationalen Durchschnitt. In Innerrhoden, wo die Prämien am tiefsten sind, liegt das Niveau der Bruttoleistungen in allen Bereichen unter dem Schweizer Mittel, insbesondere in der Physiotherapie (54 Prozent tiefer), bei ärztlichen Behandlungen (41 Prozent tiefer) und im spital-ambulanten Bereich (25 Prozent tiefer).
Müller nennt dafür zwei Gründe: den deutlich tieferen Taxpunktwert im ärztlichen und spital-ambulanten Bereich und die Tatsache, dass die Innerrhoder schlicht weniger Leistungen in Anspruch nehmen. In der Tendenz gilt das für die ganze Ostschweiz – mit einer Ausnahme. Die Thurgauer besuchen deutlich häufiger eine Physiotherapie als der Schweizer Durchschnitt.
Im Tessin und in der Westschweiz hingegen liegen sowohl die Jahresprämien als auch die in Anspruch genommenen Leistungen in fast allen Bereichen über dem Schweizer Mittel. In diesen Regionen ist auch die Ärztedichte deutlich höher als in der Ostschweiz; ein weiterer Faktor, der die Kosten nach oben treibt.
Der Krankenkassenvergleich zeigt ein Stadt-Land-Gefälle. Auf dem Land sind die Gesundheitskosten pro Person tiefer und die Prämien günstiger. Unterscheiden sich die Gesundheitskosten innerhalb eines Kantons stark, ist er in mehrere Prämienregionen aufgeteilt. Wie Bern, Graubünden, Luzern und Zürich hat der Kanton St.Gallen drei Prämienregionen. Am meisten zahlen die Bewohner der Region 1, zu der die Stadt St.Gallen gehört.
Geht es um Gesundheitskosten, gab es im Kanton St.Gallen in den vergangenen Wochen vor allem ein Thema: Spitalschliessungen. Die Regierung möchte fünf von neun Spitälern im Kanton zu Gesundheits- und Notfallzentren herabstufen. Würden weniger Spitäler tiefere Prämien bedeuten? Gesundheitsökonom Tilman Slembeck sagt:
«Längerfristig dürften die sinkenden Kosten durch Spitalschliessungen die Prämien entlasten.»
Geht es nach der Regierung, soll der Prozess 2028 abgeschlossen sein. «Mit Effekten auf die Prämien wäre erst in fünf bis zehn Jahren zu rechnen.»
Die St.Galler Gesundheitschefin Heidi Hanselmann hingegen sagt:
«Der Prämienanstieg beispielsweise in den Kantonen Bern und Zürich, in denen ebenfalls kleine Spitäler geschlossen wurden, fand weiterhin statt.»
Würden Spitalschliessungen zu weniger Behandlungen führen, könnte das auf das Kostenwachstum der Krankenkassenprämien längerfristig einen Einfluss haben, so Hanselmann. «Da die Behandlungen aber an einem andern Spital stattfinden werden, wird es kaum eine Auswirkung auf den Kostenanstieg der Prämien haben.»
Am 17. November entscheidet das St.Galler Stimmvolk über die Erhöhung der Prämienverbilligung um 12 Millionen Franken pro Jahr. Der Bund schreibt vor, dass Familien mit unteren und mittleren Einkommen bei den Kinderprämien künftig eine Verbilligung von mindestens 80 Prozent erhalten. Bisher sind es mindestens 50 Prozent. Diese Erhöhung kostet den Kanton St.Gallen 8,2 Millionen Franken. Hinzu kommen 3,8 Millionen Franken für die Anhebung der Einkommensgrenzen. Trotz steigender Krankenkassenprämien erhalten viele Personen im Kanton St.Gallen mittlerweile eine tiefere oder gar keine Prämienverbilligung mehr, weil sich die Kriterien verschärft haben. Im Jahr 2001 wurden rund 130000 Personen unterstützt, 2018 waren es noch gut die Hälfte.