Die Ausserrhoder FDP hat 2015 ihren Nationalratssitz an die SVP verloren. Das hat die erfolgsverwöhnte Mehrheitspartei wachgerüttelt. Doch ohne eine Allianz mit dem Mitte-links-Lager könnte ein Comeback schwierig werden.
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Die Bestürzung stand Markus Bänziger ins Gesicht geschrieben. Doch die Zahlen auf der Leinwand im Wahlstübli des Herisauer Regierungsgebäudes liessen keine Zweifel. SVP-Kandidat David Zuberbühler hatte ihm das Nationalratsmandat vor der Nase weggeschnappt. FDP-Vertreter Bänziger landete nur auf dem zweiten Platz, dicht gefolgt von SP-Kandidat Jens Weber.
Das war im Herbst 2015. Mit Bänzigers Wahlniederlage war die traditionelle Übermacht der Staatspartei definitiv gebrochen. Noch 2013 stellte die FDP fünf von sieben Regierungsmitgliedern und war seit über 100 Jahren immer in beiden Kammern in Bundesbern vertreten. Doch schon nächstes Jahr könnten die Karten in Appenzell Ausserrhoden neu gemischt werden. Im Herbst muss sich Nationalrat David Zuberbühler, Wahlkampfname «Dä Zubi», der Wiederwahl stellen.
Die zentrale Frage lautet: Werden die Freisinnigen versuchen, den verlorenen Nationalratssitz zurückzuerobern? Noch hält sich die FDP bedeckt: «Wir haben noch nichts entschieden», sagt Präsidentin Monika Bodenmann. Es sei grundsätzlich jedoch Aufgabe der Parteien, der Bevölkerung eine Auswahl von Kandidaten zu präsentieren.
Die Freisinnigen spielen auf Zeit. Denn im Februar 2019 finden erst einmal Regierungsratswahlen statt. Mit den Regierungsräten Köbi Frei (SVP) und Matthias Weishaupt (SP) verlassen zwei der fünf Mitglieder wegen der Amtszeitbeschränkung die Exekutive. Die beiden FDP-Regierungsräte Paul Signer und Dölf Biasotto sowie der parteiunabhängige Alfred Stricker stellen sich der Wiederwahl. Die Präsidenten von SVP und SP betonen, ihr oberstes Ziel sei die Sicherung ihres Sitzes. Diesen Anspruch stellt die FDP nicht in Frage.
Offenbar ist eine absolute Mehrheit im Regierungsrat für die Freisinnigen kein Thema mehr. «Wir wollen nicht angreifen», sagt Monika Bodenmann. Alle Kandidatinnen oder Kandidaten würde die FDP allerdings nicht unterstützen. SVP und SP müssten nun Persönlichkeiten präsentieren, die den Kanton voranbringen könnten.
Die Suche läuft bereits auf Hochtouren. Die SVP will im August einen potenziellen Nachfolger für Regierungsrat Köbi Frei präsentieren. Hoch gehandelt werden etwa Kantonsrat Florian Hunziker, der seit 2015 im Gemeinderat von Herisau sitzt. Oder Kantonsrat Michael Furrer, Finanzchef des Herisauer Industrieunternehmens Hänseler AG.
Die SP hingegen will voraussichtlich erst im November ihre Kandidatin oder ihren Kandidaten für den Regierungsrat nominieren. Denn vorher wird sie quasi im Alleingang nochmals kräftig die politische Debatte anheizen. Im September stimmt die Bevölkerung über gleich zwei SP-Vorlagen ab: die Steuergerechtigkeits-Initiative und das Referendum gegen das neue Spitalverbundgesetz.
Als Favoriten für die Nachfolge von SP-Regierungsrat Matthias Weishaupt gelten SP-Präsident Yves Noël Balmer, der Kantonsrat und Herisauer Gemeinderat Max Eugster sowie der ehemalige Nationalratskandidat und Kantonsrat Jens Weber. Aber auch Kantonsbibliothekarin Heidi Eisenhut wird immer wieder als mögliche Nachfolgerin genannt.
Der Ausgang der Regierungsratswahlen im Frühjahr 2019 wird massgeblich beeinflussen, ob David Zuberbühler im Herbst um seinen Nationalratssitz fürchten muss. Haben die Parteien ihre Sitze im Regierungsrat nämlich gesichert, könnte es im Herbst zu neuen Koalitionen kommen. Für SP-Präsident Yves Noël Balmer ist klar: Ohne einen Mitte-links-Schulterschluss werde es nicht gelingen, den Sitz zurückzuerobern. «Ich hoffe auf eine Allianz der Vernunft.»
Eine solche ist jedoch schon einmal gescheitert. Im Vorfeld zu den Nationalratswahlen 2015 habe er dem damaligen FDP-Präsidenten die Hand gereicht, sagt Balmer. Doch die Gespräche versandeten. Das Ergebnis ist bekannt: Die Kandidaten der FDP und SP neutralisierten sich gegenseitig. Der lachende Dritte war SVP-Kandidat David Zuberbühler. Balmer macht kein Hehl daraus, dass ein freisinniger Nationalrat für die Linken im Zweifelsfall das kleinere Übel wäre. «Ich fühle mich im Nationalrat überhaupt nicht vertreten.» Denn in Bern politisiere Zuberbühler wie ein linientreuer Parteisoldat.
FDP-Präsidentin Monika Bodenmann gibt sich derweil weiter diplomatisch. Sie würde die Möglichkeit von Gesprächen mit der SP nicht ausschliessen. Doch erst müsse die FDP entscheiden, ob sie das Nationalratsmandat überhaupt zurückerobern wolle. Sie muss es sich gut überlegen. Denn mit Ständerat Andrea Caroni hat sie bereits ein Mandat, das unbestritten ist.
Spricht man mit anderen Freisinnigen, wird deutlich: Die Schlappe von 2015 hat die Partei wachgerüttelt. Zwar werde es nicht einfach, einem bisherigen SVP-Nationalrat den Sitz streitig zu machen. Doch es fallen Namen von freisinnigen Persönlichkeiten, denen man dies zutrauen würde. Zum Beispiel der Organisationsberaterin Katrin Alder-Preisig, die seit 2013 im Kantonsrat sitzt. Oder Patrick Kessler, FDP-Vizepräsident, Kantonsrat und Präsident des Verbands des Schweizerischen Versandhandels. Genannt werden auch Urs Alder, Kantonsrat und Präsident des Ausserrhoder Industrievereins, sowie Ökonom Marcel Walker, der im vergangenen Jahr zum Vizepräsidenten der FDP gewählt wurde. Auch FDP-Präsidentin Monika Bodenmann wird in Spiel gebracht. Die Kantonsrätin ist Verwaltungsratspräsidentin der Appenzellerland Tourismus AG.
Unklar ist allerdings, ob auch die anderen Parteien einen dieser Köpfe unterstützen würden. Ziel der CVP sei es, die bestehenden Sitze im Kantonsrat und im Einwohnerrat Herisau mindestens zu sichern, sagt Präsidentin Claudia Frischknecht. Die grosse Unbekannte in der Gleichung sind jedoch die Parteiunabhängigen. Auch sie wollen in erster Linie die Wiederwahl ihres Regierungsrats Alfred Stricker sichern. Interessenten für den Nationalratssitz gibt es zwar noch nicht. Doch im Gegensatz zu den anderen Parteien werde die Strategie bei den Parteiunabhängigen nicht von oben definiert, betont Andreas Zuberbühler, Präsident des Vereins. An erster Stelle stehe das Interesse einer Kandidatin oder eines Kandidaten. Sollte sich jemand melden, könnten sich die Parteiunabhängigen auch noch kurzfristig entscheiden, eine Kandidatur zu unterstützen.
David Zuberbühler gibt sich angesichts solcher Planspiele betont gelassen. «Ich bin Demokrat genug, um mich einer Kampfwahl zu stellen.» Er empfinde sein Amt als grosses Privileg und würde den Kanton gerne eine weitere Amtsperiode in Bern vertreten. Dass Zuberbühler nur rechtsbürgerliche Interessen vertrete, bestreitet SVP-Präsident Anick Volger. «Er hat mehrmals zum Wohl des Kantons und gegen die Interessen der SVP gestimmt.» Dafür habe er von der Partei Schelte bezogen. Es sei in Ausserrhoden eigentlich nicht üblich, einen Bisherigen anzugreifen, sagt Volger. Gleichzeitig stehe es natürlich jedem frei, für den Nationalratssitz zu kandidieren. Und an die anderen Parteien gerichtet, ergänzt er: «Wir sind für alles gewappnet.»