Ein Monteur soll die Töchter seiner Freundin sexuell missbraucht haben. Der Mann stand gestern vor dem Gericht in Weinfelden. Er streitet alles ab. Auch die Mutter will nichts gesehen haben.
Weinfelden. Die Antworten sind knapp und monoton. Meistens sagt der Mann nur «Nein», setzt höchstens noch ein «gar nünt söttigs» drauf. Die Vizepräsidentin des Weinfelder Bezirksgerichts gibt nicht auf. Jedes Detail der Anklage fragt sie ab: «Haben Sie das Mädchen am Busen angefasst?» «Haben Sie seine Scheide berührt?» «Haben Sie versucht einzudringen?»
«Nein», immer wieder «nein». Der Angeklagte atmet schwer. Manchmal lacht er auf, kurz und trocken. Als könne er nicht fassen, was ihm da vorgeworfen wird. 40 Jahre ist er alt, gelernter Monteur, arbeitslos. Mit Gelegenheitsjobs verdient er ein paar hundert Franken. Vor allem aber lebt die Familie vom Geld seiner Partnerin. Auch sie bekommt nur 2900 Franken im Monat. «Die finanzielle Situation ist prekär», sagt der Verteidiger.
Elf und zwölf Jahre waren die beiden Mädchen alt, als es angefangen haben soll. Da sei der Angeklagte vor allem der älteren nähergekommen, als es einem Erwachsenen gestattet ist, schon gar nicht einem Stiefvater. Mehrfache sexuelle Handlungen mit zwei Kindern und mehrfache sexuelle Nötigung, wirft ihm der Staatsanwalt vor. Er fordert eine teilbedingte Freiheitsstrafe von 30 Monaten, davon soll der Angeklagte ein Jahr absitzen.
Das Mädchen vertraut sich der Mutter an. Die stellt ihren Freund zur Rede. Der verlässt für kurze Zeit die gemeinsame Wohnung, zieht in einen Wohnwagen. Dann schreibt ihm das Mädchen einen Brief, nimmt darin ihre Vorwürfe zurück und entschuldigt sich. Der Mann kehrt zurück. Gemäss Anklage gingen die Übergriffe weiter.
Zu dem Brief habe die Mutter sie gezwungen, erklärt das Mädchen später. Alles sei freiwillig passiert, beteuert die Mutter. Sie steht wegen Gehilfenschaft vor Gericht. Die Frau ist schmal und stark geschminkt. Etwas verloren wirkt sie in ihrer viel zu grossen Jacke. Die zieht sie auch nicht aus, als die Vizepräsidentin wegen der Hitze im Saal «offizielle Tenue-Erleichterung» verkündet.
Die Mutter will nie eine verdächtige Berührung erspäht, nie einen unsittlichen Kuss gesehen haben. Für den Staatsanwalt und den Vertreter des älteren Mädchens ist klar, dass sie nicht wahrhaben wollte, was sich da jahrelang vor ihren Augen abspielte. Sie zeichnen das Bild einer Frau, die mit der Erziehung überfordert war und panische Angst hatte, ihren Freund zu verlieren. Die ältere Tochter ist mittlerweile 19 Jahre alt und hat selbst ein Kind. Mehr als unter den Übergriffen des Ersatzvaters leide sie darunter, dass ihre Mutter sie nicht beschützt habe. «Das ist verwerflich und tut weh», sagte ihr Rechtsvertreter. Seine Mandantin wünsche sich sehnlichst, dass ihre Mutter ihr endlich glauben möge.
Die jüngere Schwester hat weniger unter den Übergriffen gelitten. Sie lebte beim leiblichen Vater und verbrachte nur jedes zweite Wochenende bei der Mutter.
Die Verteidiger der Angeklagten schildern eine andere Version der Familientragödie. Sie stempeln die ältere Tochter als «notorische Lügnerin» ab. Diese sei schon als 14-Jährige wegen «Irreführung der Rechtspflege» verurteilt worden. Damals habe sie einen Einbrecher erfunden, um ihrer Mutter den kaputten Zahn zu erklären. Sie habe der Polizei sogar eine Beschreibung des Täters geliefert. Weil es keine Zeugen gebe, soll das Gericht die beiden Mädchen nochmals befragen, fordern die Verteidiger. Ausserdem solle ein Gutachten zur Glaubwürdigkeit ihrer Aussagen eingeholt werden. Denn die Anklage stütze sich allein auf die Vorwürfe der Mädchen. Das Gericht hat noch kein Urteil gefällt.
Die Mutter und ihr Freund sind noch immer ein Paar, die Strafuntersuchung hat ihre Beziehung nicht zerstört. Die Frau sagte vor Gericht: «Wir halten zueinander.»