Ein Fund aus Eschenz lässt die Herzen der Archäologen höherschlagen. Es handelt sich um ein Schleuderblei, das ein römischer Soldat kurz nach der Eroberung der Region verloren haben muss. Es ist das erste Indiz für ein römisches Militärlager, das den Rheinübergang sicherte.
FRAUENFELD. In der Hand liegt das Teil schwerer, als es aussieht. Das antike Geschoss ist aus Blei gegossen. «Ein Treffer auf den Kopf ist tödlich», sagt Archäologe Urs Leuzinger. Beim Stück handelt es sich um ein Schleuderblei, das in einem Acker bei Eschenz gefunden worden ist. Es ist 4,3 Zentimeter lang und wiegt 78,09 Gramm. Solche Munition wurde von spezialisierten Schleuderern eingesetzt.
«Für uns ist das ein extrem wichtiger Fund», sagt Leuzinger. Es handelt sich um eine der ältesten Hinterlassenschaften der Römer, die im Thurgau gefunden wurden – noch älter als die ältesten Funde aus der römischen Kleinstadt Tasgetium in Eschenz. Die datierten Holzreste reichen dort in die Jahre 3 oder 2 vor Christus zurück. Von der Eroberung der Region durch die Römer 15 vor Christus im Alpenfeldzug (siehe Zweittext) bis zum Bau der Siedlung klaffte bisher eine Fundlücke.
Die Archäologen gingen schon immer davon aus, dass es in Eschenz kurz nach dem Feldzug ein römisches Militärlager gegeben haben muss. «Die geographische Lage schreit geradezu danach», sagt Leuzinger. Am Ausgang des Untersees war eine Überquerung des Rheins über die Insel Werd möglich. Eine solche Stelle müsste militärisch gesichert gewesen sein, bis die Römer auch das Gebiet nördlich des Rheins erobert haben. «Wir haben das Militärlager bis jetzt am falschen Ort gesucht», sagt Leuzinger, der bisher das Unterdorf von Eschenz dafür im Auge hatte – nahe am Flussübergang. Im Herbst liess das Amt für Archäologie aber einen Acker viel weiter hangaufwärts untersuchen. Tatsächlich fand ein ehrenamtlicher Sucher mit dem Metalldetektor einige sehr frühe Münzen und das Schleuderblei.
Die Münzen und die Form des Schleuderbleis lassen eine ungefähre Datierung zu, die laut Leuzinger in die bisherige Lücke passt. Das Schleuderblei beweist laut Leuzinger die Anwesenheit römischer Truppen in Eschenz. Solche Munition habe nur die Armee gehabt. In einem zivilen Umfeld ist so ein Stück nicht zu erwarten.
Schleuderbleie seien extrem seltene Funde. Mehrere solcher Geschosse wurden zum Beispiel auf dem Septimerpass gefunden. Sie stammen ebenfalls vom Alpenfeldzug. Wegen der breiten Streuung der Schleuderbleie ist dort von einem Gefecht auszugehen. Das Einzelstück in Eschenz dürfte dagegen einfach verlorengegangen sein. Leuzinger geht darum davon aus, dass sich auf jenem Acker tatsächlich ein Militärlager befunden haben könnte.
Das wäre auch eine mögliche Erklärung, wieso sich die zivile Siedlung im eigentlich ungünstigen sumpfigen Terrain bildete. Das Militär hatte das trockene Terrain oberhalb besetzt. «Das war Sperrgebiet», sagt Leuzinger. Schankwirte und Händler, die sich um das Lager niederliessen, mussten sich deshalb mit dem feuchten Boden begnügen. Dort entstand dann Tasgetium. Die militärische Präsenz dürfte von kurzer Dauer gewesen sein. Von Tasgetium selber finden sich keine Spuren, die auf eine grössere Garnison schliessen lassen. Einzig eine Schreibtafel aus Holz aus der Mitte des 1. Jahrhunderts ist an einen Aufidius adressiert, der einer Zenturie (Kompanie) angehört hat. Das weise darauf hin, dass ein kleinerer Trupp anwesend war, sagt Leuzinger. Das sei für einen Verkehrsknotenpunkt wie Tasgetium auch nicht überraschend.
Erst als die Römer die Gebiete nördlich des Rheins im späten 3. Jahrhundert wieder aufgegeben haben, markierte der Fluss erneut die Reichsgrenze und musste befestigt werden. Davon zeugt das Kastell Tasgetium in Stein am Rhein.